Milchkuh Erika lebt - Vom Erfolg einer verrückten Idee



Erika lebt. Eigentlich hätte sie schon längst tot sein müssen. Aber nun steht sie da hinten auf der Weide. Und als sie Bäuerin Wilma sieht, trottet sie auf die Frau zu und sucht mit ihrer Schnauze in der Jacke nach einem Leckerchen. Das sind die Momente, in denen Frau Michiels weiß, dass sie alles richtig gemacht hat. Und es kümmert sie kein bisschen, dass sie im Ort die Verrückte ist, die ihre Milchkühe vor dem Schlachter gerettet hat. Das Ultimatum ist jetzt auch kein Thema mehr.

Die Milchpreise waren schon lange so schlecht, dass die Kühe richtig viel Geld kosteten und andere Landwirte die Tiere schon längst zum Schlachter gebracht hatten. Also: Die Tiere mussten zum Schlachter, meinten jedenfalls ihr Mann und ihr Schwiegervater im Sommer.

Und so hat sie geschwindelt, die Bäuerin – immer wieder: Immer war eine andere Kuh trächtig, anscheinend.

Die Geschichte wäre vielleicht anders ausgegangen, wenn Wilma Michiels keine Quereinsteigerin auf dem Hof in Wegberg bei Aachen gewesen wäre. Die 53-Jährige war erst seit zehn Jahren da, natürlich der Liebe wegen, zu Bauer Heinz. Vorher hatte sie viele Jahre als Kinderpflegerin gearbeitet. Und da sieht frau die Dinge etwas anders als der Alt-Bauer und sein Sohn Heinz. «Tiere sind nicht nur Nutztiere, sondern auch Lebewesen», sagt sie. Zum Schlachter, das hätten die Tiere einfach nicht verdient. Vor allem die gute alte Erika nicht.

Und so hat sie geschwindelt, die Bäuerin – immer wieder: Immer war eine andere Kuh trächtig, anscheinend. «Das lief über Monate, bis das eskalierte», erzählt Heinz Michiels. Damals war dem Ackerbauern gar nicht zum Schmunzeln. Die 44 Milchkühe hielt er ja nur so nebenbei.

Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Menschen gibt, die so denken wie ich.

Wilma Michiels, Landwirtin

Es kam zum Deal: Wenn seine Frau so viele Paten, Spender und Sponsoren findet, dass die Tiere kein Zuschussgeschäft sind, dürfen sie bleiben. Jetzt fehlen zwar noch immer Paten, aber vom Ultimatum spricht auf dem Hof niemand mehr.

«Alle Paten wollten Erika», sagt die Bäuerin – aber dann waren natürlich auch Olga oder Susi kein Problem. «Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Menschen gibt, die so denken wie ich», ist die Frau des Bauern immer noch erstaunt: Junge Leute, tierliebe und bewusst lebendende Menschen – ja, sogar andere Landwirte. Ein Schnaps-Hersteller verkauft zugunsten von Erika & Friends Whisky mit einem Kuh-Etikett vorne drauf.

Mit Spenden hat der Verein jetzt auch einen Laufstall gebaut, wo die Tiere nicht festgebunden werden und auf Stroh stehen können. Den alten Stall gibt es aber auch noch, als Anschauungsobjekt. Denn die Geschichte von Bäuerin Wilma und ihren Kühen geht weiter. Auf dem Hof entsteht mit Unterstützung des Tierschutzvereins Düsseldorf eine Bildungseinrichtung für Kinder. «Wir möchten zeigen, wie Kühe gehalten werden», sagt Sprecherin Christina Ledermann – auch wie sie gehalten wurden in dem alten Stall. Der Verein werde im nächsten Jahr eine «Tierschutzlehrerin» einstellen – eine Biologin mit einer Zusatzausbildung. Die werde dann bei ihren Besuchen die Schulen dazu motivieren, Klassenfahrten auf den Hof zu machen.

Und Bauer Heinz? Der betreibt jetzt ausschließlich Ackerbau. Aber die Kühe betrachtet er mit ganz anderen Augen. «Er spricht jetzt auch mit den Tieren», verrät Bäuerin Wilma und lächelt. (dpa)