„Kaisersturz“ 1918 – Mit „Trotz und Angst“ zum Untergang der Monarchie

Kaiser Wilhelm II. (Mitte) während des Ersten Weltkrieges bei einem Besuch der deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen in Galizien. | dpa

Ein von der Realität völlig entrückter Kaiser, ein politisch unerfahrener Prinz und ein der Monarchie nicht feindlich gesonnener Sozialistenführer – das sind die Protagonisten an einem Scheidepunkt deutscher Geschichte. Erzählerisch beschreibt der Historiker Lothar Machtan die Charaktere von Kaiser Wilhelm II., Kanzler Prinz Max von Baden, des SPD-Politikers Friedrich Ebert und die Stimmung in Deutschland vor dem Ende der Hohenzollern-Monarchie und der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg.

Im Sommer 1918 stecktdas Deutsche Reich nach vier Kriegsjahren in der bislang größten Krise.

In seinem neuen Buch „Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht“ sieht Machtan viel menschliches und politisches Versagen der Handelnden kurz vor dem Zusammenbruch des Kaiserreichs. „Die Rede ist von Leichtsinn und Dummheit, von Angst und Trotz, von Blindheit und Arroganz, von Feigheit und Versagen.“

Im Sommer 1918 steckt das Deutsche Reich nach vier Kriegsjahren in der bislang größten Krise. Die letzten Offensiven an der Front scheitern, die Versorgungssituation ist prekär und spitzt sich weiter zu und der Glauben an die Monarchie schwindet. Die Volksmassen politisieren sich und der Ruf nach Demokratie wird lauter. Machtan zufolge ist jedoch nach Einschätzung aller politischen Entscheidungsträger im August 1918 das deutsche Kaiserreich noch keineswegs verloren.

Kaiser Wilhelm II., der letzter Kanzler Prinz Max von Baden und der Vernunftsmonarchist Ebert traten im Herbst 1918 an, um das Kaiserreich zu erhalten und schlussendlich wurden sie Machtan zufolge zu den „Totengräbern der Monarchie“, weil sie sich Hindernisse in den Weg stellten und „in einen Teufelskreis gegenseitigen Misstrauens gerieten“, schreibt Machtan über die drei Protagonisten, die er alle auch einzeln analysiert.

Der körperlich behinderte Kaiser, der Zeit seines Lebens Angst hatte, seinen anspruchsvollen Aufgaben nicht gerecht zu werden, glaubte bis zum Schluss an seine Auserwähltheit. Machtan beschreibt ihn als theatralischen Selbstdarsteller mit Hang zur Takt- und Geschmacklosigkeit. „Die Fähigkeit, sich im politischen Streit zu mäßigen, die Dinge aus nüchterner Distanz sachlich zu betrachten und zu beurteilen, ging ihm völlig ab“, beschreibt ihn der emeritierte Professor für Neuere Geschichte. Die Realität aus dem Auge verloren spielte Wilhelm II. schon vor der Revolution am 9. November 1918 auch mit dem Gedanken, sich notfalls sein Reich mit kaisertreuen Truppen zurückzuholen.

Wilhelms Vetter und letzter Kanzler Prinz Max von Baden ist für Machtan die komplette Fehlbesetzung. „Mit seinem Programm bekannte er sich unmissverständlich und weithin sichtbar zu einem deutschen Machtstaat mit imperialistischen Ansprüchen und einer bewusst nicht demokratischen Verfassung“, schreibt Machtan über den politisch völlig unerfahrenen Prinzen. Er sah sich als Retter Deutschlands und vorübergehend auch als eine Art Interimsmonarch nach einem möglichen Thronverzicht Wilhelms II.. Ein Bündnis mit Ebert kündigte der Prinz zum Auftakt der Revolution auf und ließ den Sozialistenführer in einer Art verfassungsrechtlichem Vakuum zurück. Den bodenständigen und treuen Ebert sieht Machtan als Vernunftsmonarchisten.

Noch im Herbst glaubt der spätere erste Reichspräsident der Weimarer Republik idealistisch an eine demokratisch legitimierte Volksvertretungen mit monarchistischem Staatsoberhaupt. Seine größte Angst war eine gewalttätige Revolution und der Bolschewismus. Ihm wurde in den Stunden des Umbruchs am 9. November de facto die Kanzlerschaft übertragen. „Nach dem Rückzug seines prinzlichen Verbündeten besaß Ebert für die ihm überantwortete politische Führungsaufgabe keine Legitimation mehr – und das wusste er.“ Er ging entgegen seinen ursprünglichen Überzeugungen mit der weiter linksstehenden Unabhängigen Sozialdemokratie zusammen, um einen geordneten Übergang in der auf vollen Touren laufen Revolution zu schaffen.

Machtan beschreibt in seiner gut lesbaren, leicht verständlichen Studie die Hauptcharaktere, weitere führende Köpfe, die Entwicklung und Stimmungslage im Volk und auch die Orte des Geschehens wie die Machtzentrale in der Berliner Wilhelmstraße, das Hauptquartier im belgischen Spa und den Reichstag. Er zeigt den Untergang der Hohenzollern-Monarchie auf, der in den entscheidenden Tagen seit dem Spätsommer 1918 nicht zwingend in eine republikanischen Volksdemokratie enden musste. Doch gerade den Hauptprotagonisten ist dieser chaotische Übergang anzulasten. „Sie haben die „Chaotisierung“ einer Regierungspolitik verursacht, die erst zu schleichendem Staatsversagen führte und dann am 9. November 1918 die Sturzgeburt einer republikanischen Volksdemokratie einleitete – einer politischen Kreatur, die vielen Deutschen wie ein untergeschobenes Kind vorkam; manchen sogar wie ein Missgeburt.“ In dem „Kaisersturz“ sieht Machtan dann auch ein Stück weit die Saat für den Nationalsozialismus, auch wenn man Geschichte nicht vom Ende her denken sollte. „Folgt man der begründeten Vermutung, dass Hitler gegen eine glaubwürdig modernisierte monarchische Ordnung mit einem volksnahen Throninhaber kaum eine Chance gehabt hätte, so beginnt 1933 vielleicht doch 1918.“ (dpa)

Lothar Machtan: Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht, wbg Theiss, Darmstadt 2018, 352 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-8062-3760-3