Portugal trauert um seinen „Vater der Demokratie“

Mario Soares. | afp

In Lissabon hatten viele ältere Bürger am Sonntag Tränen in den Augen, die Fado-Musik klang in den Kneipen der portugiesischen Hauptstadt diesmal noch melancholischer als sonst. Mit dem Tod des legendären Sozialisten Mario Soares verlor das Land am Tejo einen der schillerndsten und wichtigsten, aber auch einen der beliebtesten Politiker der Nachkriegszeit. „Danke, Soares“, titelte die liberale Zeitung „Público“ zum Abschied auf Seite eins.

In den schwierigen Jahren nach der „Nelkenrevolution“ von 1974 ging der Mann mit dem volksnahen Auftreten und den weichen Gesichtszügen als „Vater der Demokratie“ in die Geschichte seines Landes ein. Der gelernte Jurist, der nach wochenlangem Koma am Samstag in einem Krankenhaus in Lissabon im Alter von 92 Jahren starb, war zweimal Ministerpräsident (1976-78, 1983-85) und danach von 1986 bis 1996 in zwei Amtsperioden auch Staatsoberhaupt von Portugal.

Während seiner Präsidentschaft bekam Soares, der eine charismatische Ausstrahlung hatte, von seinen Landsleuten ironisch-liebevoll den Beinamen „O Rei“ (König) verpasst. Bei den zuletzt immer selteneren öffentlichen Auftritten wurde Soares immer mit lautem Applaus begrüßt. Auch bei politischen Rivalen genoss er sehr viel Respekt.

„Das ist heute ein sehr trauriger Tag für Portugal. Niemand hat ihn (Soares) unterkriegen können“, sagte zum Beispiel der frühere konservative Regierungschef Pedro Santana Lopes. Der frühere Staatspräsident und Ex-General António Ramalho Eanes, der Soares 1978 im Zuge einer Regierungskrise des Amtes enthob, hatte erst in diesem Sommer erklärt: „Soares war für Portugal nicht nur nach 1974, sondern auch schon vor der „Nelkenrevolution“ immens wichtig.“

Soares wurde am 7. Dezember 1924 als Sohn eines sozial und politisch engagierten katholischen Priesters geboren. Seinen Kampf gegen die Diktatur von António Salazar nahm er schon 1942 als 18 Jahre alter Student auf. Als Anwalt verteidigte er später Regimegegner vor Gericht. Unzählige Male wurde er selber ins Gefängnis geworfen. Seine Frau Maria, die 2015 mit 90 starb, hatte er 1949 in Aljube hinter Gittern geheiratet. 1968 wurde der „Störenfried“ vom Regime auf die afrikanische Insel São Tomé – damals noch eine Kolonie Portugals – verbannt, 1970 ging Soares dann ins Exil nach Paris.

„Störenfried“ wurde vom Regime auf die afrikanische Insel São Tomé verbannt

In der französischen Hauptstadt lernte er neben verschiedenen linksgerichteten Politikern wie dem Schweden Olof Palme oder dem Österreicher Bruno Kreisky auch Willy Brandt kennen. „Eine außergewöhnliche politische Lehrzeit“, erinnerte sich Soares Jahre später. In der Heimvolksschule Bad Münstereifel der Friedrich-Ebert-Stiftung gründete der Portugiese am 19. April 1973 mit mehreren Mitstreitern die Sozialistische Partei Portugals (PS).

Als dann ein Jahr später die älteste Diktatur Westeuropas von einem nahezu unblutigen Militärputsch („Nelkenrevolution“) hinweggefegt wurde und jubelnde Menschen am 25. April 1974 den linksgerichteten Soldaten der Revolution Nelken in die Gewehrläufe steckten, verfolgte der gute Freund von Brandt und Günter Grass die Ereignisse in Bonn im Fernsehen und Radio – bevor er sich kurzerhand gen Heimat aufmachte. Drei Tage später traf er mit dem Nachtzug in Lissabon ein.

Soares‘ Rückkehr in die Heimat war ein Glücksfall für Portugal: Als nämlich Strömungen von links und rechts in den Monaten nach der Revolution die frischgewonnenen Freiheiten bedrohten, sorgte Soares unter anderem mit großen Demonstrationen auf der Avenida da Liberdade („Avenue der Freiheit“) in Lissabon, aber auch mit viel Verhandlungsgeschick dafür, dass der Einfluss der Radikalen bei den Militärs immer geringer wurde. „Er war der Mann, der nie aufgegeben hat“, schrieb „Público“ am Sonntag rückblickend und anerkennend.

Nach der turbulenten Zeit des Übergangs, bei dem er unter anderem als Außenminister und Regierungschef tätig war, wurde der überzeugte Europäer 1986 als erster portugiesischer Zivilist zum Staatsoberhaupt gewählt. Während seiner zehnjährigen Amtszeit als Staatschef fand er Zeit, 1991 die Mario-Soares-Stiftung zu gründen, die vor allem Wissenschaftler finanziell unterstützt.

Von der Politik konnte sich der Ehrenpräsident der Sozialistischen Internationale auch an seinem langen Lebensabend – sei es als Amtsträger oder als Kommentator – nicht trennen. Nachdem er sich zunächst 1999 als Abgeordneter ins Europa-Parlament hatte wählen lassen und 2006 mit einer erneuten Präsidentschaftskandidatur gescheitert war, veröffentlichte der Vater zweier Kinder und mehrfache Großvater 2011 eine „politische Autobiographie“.

Er schrieb außerdem bis zuletzt scharfzüngige Kolumnen für die Zeitung „Diário de Notícias“ und für die Wochenzeitschrift „Visão“. Dabei stellte er vor allem die Sparpolitik in Lissabon und Brüssel, die zunehmende soziale Ungleichheit in Portugal und Europa und die Vernachlässigung von Flüchtlingen durch die reicheren Länder scharf an den Pranger. „Die Welt sieht leider immer schlechter aus“, klagte Soares erst im vergangenen Jahr.