Ecolo-Fraktionssprecher: „In Sachen unzuverlässige AKWs ist unser Land Weltmeister“

Jean-Marc Nollet bei einem Arbeitsbesuch am Atomreaktor von Tihange zu Beginn des Jahres. | Photo News



In der vergangenen Woche fiel der Reaktor Doel 3 wegen einiger technischer Probleme aus. Die häufigen Aussetzer haben dazu geführt, dass der normale Beobachter die Übersicht verloren hat, welches Atomkraftwerk nun funktioniert und welches nicht. „Doel 1 ist abgeschaltet wegen eines Lecks im nuklearen Bereich“, schafft Nollet Klarheit. „Doel 2 ist vorübergehend vom Netz und wird gewartet. In Tihange 3 sind Probleme mit dem Beton im nicht-nuklearen Teil festgestellt worden. Doel 4 und Tihange 2 werden im August unter die Lupe genommen. Dann sind Doel 4, Tihange 2, Tihange 3 und Doel 1 zu – vier der sieben Meiler. Das ist mehr als die Hälfte. Unser Ausstieg aus der Atomenergie verläuft im größtmöglichen Chaos.“

„Humo“ erinnert in seinem ausführlichen Interview mit Nollet daran, dass der Widerstand gegen die AKWs vor allem im Ausland lebt. Aktionsgruppen aus Deutschland, Frankreich und Belgien haben vor zwei Wochen eine Petition mit 500.000 Unterschriften der Föderalagentur für Nuklearkontrolle (Fank) ausgehändigt und die unmittelbare Schließung der Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 gefordert. Diese seien nicht mehr sicher, weil sie Risse in ihren Mänteln haben. „Offiziell gab es die Risse schon seit Anfang an, Konstruktionsfehler. Durch Abkühlung sollen Luftblasen in der Wand des Reaktorfasses entstanden sein. Viele Luftblasen und sie nehmen zu. In Doel sind es 13.000, in Tihange 3.000.“

Für Jean-Marc Nollet ist demnach klar: Belgien ist Weltmeister in Sachen unsichere Atomkraftwerke. „Selbst Iran ist besser als wir“, so Nollet in „Humo“. Für den Ecolo-Politiker ist es fragwürdig, dass Jan Bens, Ex-Generaldirektor bei der Fank, zuvor für den AKW-Betreiber Electrabel arbeitete. „Er war zuständig für das Atomkraftwerk in Doel. Ich habe ein internes Papier und da sagt er Folgendes: ‚Unser Ziel es es, die Politik davon zu überzeugen, dass die Lebensdauer der Reaktoren mit zehn bis 20 Jahre verlängert werden muss.‘ Und so ein Mann soll dann später überprüfen, ob die Reaktoren in Betrieb bleiben sollen. Atomenergie ist eine geschlossene Welt. Auf Kongressen läuft man, aufgrund eines Mangels an Fachleuten, immer den gleichen Personen über die Füße. Es wimmelt vor inzestuösen Beziehungen.“

„Humo“ konfrontiert Nollet in dem Gespräch mit dem sogenannten Bianca-Plan, wonach Engie, der französische Mutterkonzern von Electrabel, die nicht rentablen Atomgeschäfte so schnell wie möglich abstoßen will. Engie habe die Kosten für den Abbau des Atomparks aber stark untertrieben, um einfacher einen Abnehmer für die Arbeiten zu finden. „Wir haben die Politik davor gewarnt, dass das Dossier viel mehr Geld kosten kann, als wir denken.“ Der Abbau der AKWs und das Begraben des Atommülls sollen 14 Mrd. Euro kosten. „Da kommen noch mal zehn bis 20 Milliarden Euro drauf“, glaubt Nollet. Der Müll sollte für 3,2 Mrd. Euro in 200 Meter Tiefe begraben werden. „Allerdings macht das kein Land. Es sind mindestens 400 bis 600 Meter erforderlich. Je tiefer man geht, desto teurer wird es.“

Atommüll in 200 Meter Tiefe begraben: „Es sind mindestens 400 bis 600 Meter erforderlich. Je tiefer man geht, desto teurer wird es.“

Jean-Marc Nollet hat festgestellt, dass Electrabel mit Atomenergie sehr viel Geld verdient hat, ein großer Batzen der Einnahmen aber schon in den Mutterbetrieb nach Paris geflossen ist. „Ein ehemaliger Spitzenmann von Electrabel hat in ‚La Libre Belgique‘ gesagt, dass Engie die Insolvenz von Electrabel organisiert“, so Nollet. Der Mann habe Electrabel deshalb Ende 2017 verlassen. „Der Cashflow von Electrabel fließt immer mehr in Richtung Engie, sodass Electrabel in Kürze wenig Geld in den Fonds für den Abbau des Atomparks und die Verarbeitung des Atommülls stecken kann. Der ehemalige Topmann von Electrabel hat erklärt, dass es seine Aufgabe war, den belgischen Fonds leerlaufen zu lassen. Und wenn das Geld einmal in Frankreich ist, kommt da keiner mehr ran. Das sagt das Gesetz. Dann muss der belgische Staat die Differenz bezahlen. Will heißen: Wir, die Steuerzahler müssen dann zehn bis 20 Milliarden Euro beitragen.“