Gefährlich cool: Warum alle von „Bed-Stuy“ reden


Bei der Frage nach dem angesagtesten Viertel im Big Apple verlieren selbst waschechte New Yorker den Überblick. Astoria sagen die einen. Southbronx die anderen. Namen, die bekannt klingen. Jetzt mischt aber in Insider-Gesprächen ein weiterer Name mit: Bedford-Stuyvesant.

Was verbindet die U-Bahn von New York mit US-Rapper Jay-Z? Zwei Buchstaben und ein Viertel – zumindest wenn man den Einheimischen aus „Bedford-Stuyvesant“ glaubt. Durch das Viertel verlaufen die Linien „J“ und „Z“ der New Yorker U-Bahn – dort ist der King of Hip Hop aufgewachsen, genau wie Rapperin Lil’Kim. Bekannt ist das Viertel im Norden Brooklyns allerdings weniger durch die Hip-Hop-Legenden, sondern als gefährliches Pflaster. Freiwillig wollte da bislang keiner hin. Und jetzt? Sprechen Insider vom „next big thing“ – dem nächsten großen Ding.

„Do or Die Bed-Stuy“ war das Wortspiel, das es lange Zeit auf den Punkt brachte. Tu es oder stirb – oder um es in Jay-Z’s Worten zu sagen: „Leben oder Tod hingen davon ab, wie gut du dich auskanntest.“ Am Straßenrand standen die Nutten, in den Seitenstraßen feilschten die Dealer. Selbst die Polizei mied die Ecke.

Heute leben hier etwa 134.000 Menschen, die aus den verschiedensten Nationen kommen. Vor allem Afro-Amerikaner zog es hier in den 1920ern und 30ern her, gefolgt von Menschen aus der Karibik. Auch Europäer kamen. Ziemlich multikulti alles. Ähnlich wie im Nachbarviertel Bushwick, nur noch ohne Touristen.

Denn bis vor kurzem noch galt Bushwick als geheimes Künstler-Mekka. Wer kreativ war oder schlicht keine Million für eine sündhaft teure Wohnung auf dem Konto hatte, zog hierher. Doch mittlerweile steigen die Mieten rasant. Inzwischen gibt es in Bushwick alles, was „hip und trendy“ ist. Angefangen bei Vintage-Läden bis hin zu Galerien und Coffee-Shops. Veganes und glutenfreies Essen fehlen auf fast keiner Speisekarte – zumindest bei den Gastronomen, die ihre Geschäfte unterhalb des Broadways machen, der beide Viertel trennt. Dahinter beginnt Bed-Stuy. Und der Mainstream hört auf.

Die Waggons der U-Bahn rattern hier im Minuten-Takt über die Stahltrasse der Brücke, die über dem Broadway wie ein Baldachin zu schweben scheint. Unter ihr drängeln sich immer wieder Polizeiwagen zwischen hupenden Autos, alten Mofas und dicken Trucks hindurch. In der schwülen Mittagshitze riecht es nach verbranntem Gummi und heißem Metall. Aus irgendeiner Bude am Straßenrad zieht der Dunst von Frittiertem auf die Straße. Und inmitten der Menge steht ein Mann mit einer Grillzange in der rechten und einem vor Fett triefenden Pappkarton in der linken Hand – und verteilt Gratis-Pizzahäppchen an die Passanten.

Bed-Stuy ist nicht schillernd wie Manhattan und kein Hipster-Stadtteil wie Bushwick. Aber das will es auch gar nicht sein. „Es ist an einem Umbruch – und ich wünschte, genau hier soll es für immer bleiben“, sagt Steve. Lässige Jogginghose, die Haare an den Seiten abrasiert, Kopfhörer um den Nacken. Der 25-Jährige sitzt vor seinem Laptop und schlürft frischgebrühten Kaffee. Made in Bed-Stuy, natürlich.

Aufgewachsen ist Steve in der Bronx, seit ein paar Jahren wohnt er in Brooklyn. Früher, das sagt auch er, sei Bed-Stuy das schlimmste Viertel in der City gewesen. Und jetzt? Einfach toll und vor allem: günstig. „Wenn ich essen gehen will, bekomme ich um die Ecke ein Menü für sieben Dollar, das mich die ganze Woche satt macht. Wenn ich es etwas schicker will, dann komme ich hierher.“ Und zwar in das „Cup of Brooklyn“ – ein Café, in einer Seitenstraße des Broadway.

Denn wer in Bed-Stuy sucht, findet nicht nur fettige Pizza, sondern eben auch den Soja-Latte. Von der Decke baumeln stylishe Glaslampen, an der schwarzen Menütafel locken Veggie- und Avocado-Sandwiches. Gegessen wird auf selbstgebauten Holzbänken. Erst Ende Juli 2016 eröffneten Agnes und John Paladino ihr neues Café. Eins, das so auch locker in Berlin stehen könnte. Der Unterschied aber: Statt Touris bestellen hier fast nur Einheimische, sagt das Paar.

Und für genau die soll der Laden in erster Linie auch sein. „Wir sind vor sechs Jahren von Queens hierher gezogen. Hier gab es nichts“, sagt Agnes. Allerhöchste Zeit also, das zu ändern. Der Broadway sei eine magische Schnittstelle für sie gewesen. Und auch für Pietro, der einige Meter weiter in der sengenden Hitze Stühle und Tische über den Broadway in das nächste Haus schleppt.

Was noch nach Baustelle aussieht, soll bald schon ein Pizza-Restaurant sein. Ob er mit vielen Touristen rechne? „Erst mal nicht. Es soll ein Platz für die Gemeinschaft sein“, sagt der Pariser mit italienischen Wurzeln. Er selbst sei vor einigen Jahren als Neuling hierher gezogen, jetzt will er den Einheimischen etwas zurückgeben. „In meinem Land sagt man: Die Orte, wo Pizza gegessen und Kaffee getrunken wird, haben auch eine soziale Verpflichtung.“

Und zwar für jene, die dort zu Hause sind: Afroamerikaner, die vor ihren Häusern in Klappstühlen sitzen und Hip-Hop-Beats hören. Studenten, die in Skinny-Jeans und mit Kaffeebecher über den Broadway schlendern. Künstler, die ihre Galerien zwischen Barber-Shops und trashigen Klamottenläden aufschlagen. Ein Treffpunkt derer, die scheinbar unbeeindruckt wirken von der Glamourwelt Manhattans. Die sich auf der Straße grüßen, sich gegenseitig die Tür aufhalten und mit einem Zwinkern das Kleingeld schenken.

Wer in die U-Bahn nach „Bed-Stuy“ steigt, erlebt New Yorker Alltag. Sauber und gepflegt ist es nicht. Auch nicht atemberaubend schön. Aber wenn die Luft nach Coolness riechen könnte, sollte man seiner Nase gen Osten folgen. Und die Ohren aufsperren für echten Hip-Hop.

(dpa)

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