Unsere Gegenwart begann 1967 - Bundeskunsthalle feiert Postmoderne

<p>Das Konzeptfahrzeug „Citroen Karin“ aus dem Jahr 1980 steht in der Bundeskunsthalle.</p>
Das Konzeptfahrzeug „Citroen Karin“ aus dem Jahr 1980 steht in der Bundeskunsthalle. | Foto: Oliver Berg/dpa

Donald Trump und Wladimir Putin sind damit „diagnostiziert“ worden, Putins Chefideologe Alexander Dugin benutzt es als Schimpfwort: postmodern. Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet der Postmoderne eine große Ausstellung und damit einer Zeit, in der es in Kunst, Design, Architektur und Gesellschaft drunter und drüber ging und in der noch heute aktuelle Konflikte und Kulturkämpfe ihren Anfang nahmen. Das Kuratorinnenteam ist sicher: Wer das Heute verstehen will, muss zurück in die Jahre 1967 bis 1992. „Eine Zeit, die uns aus dem Abstand einer Generation erstaunlicherweise viel über uns und unsere Gegenwart verrät“, schreibt Intendantin Eva Kraus im Katalog zur Ausstellung, die am Freitag eröffnet wurde. Die Ausstellung ist aber weit mehr als Geschichtsstunde. Gezeigt wird Kunst, Architektur, Design, Philosophie, Mode und Film mit Lust auf Humor und Spektakel.

In den 1960er-Jahren packt der Architekt Robert Venturi eine riesige, aber völlig funktionslose Fernsehantenne auf ein Altenheim. Die Zeit der um Struktur bemühten Moderne geht langsam vorbei, es werden wieder sinnlose Schnörkel gewagt. Aus „form follows function“ wird „form follows fun“. Wenige Jahre später kopiert die Künstlerin Elaine Sturtevant eins zu eins einen Andy Warhol und gibt das Kunstwerk als ihr eigenes aus. Auf einem anderen Werk nimmt sie noch eine Roy-Lichtenstein-Kopie dazu. „Das ist eigentlich Internet. Man kombiniert einfach Sachen“, sagt Co-Kurator Kolja Reichert. „Du nimmst was vom Genie? Es gibt kein Genie!“ Es ist bei weitem nicht die einzige Parallele zur Gegenwart. Gezeigt wird etwa ein Auftritt von Jefferson Airplane, die das allererste Rooftop-Konzert der Geschichte geben. Ein subversives Happening? Ein Kameraschwenk zeigt das Logo der Plattenfirma an der Hochhausfassade darüber. „Das ist schon voll Kapitalismus“, sagt Reichert. „Es ist die Vereinnahmung der gegenkulturellen Energie für ein Spektakel. Wir sehen hier den Anfang der “Festivalisierung„ der Gesellschaft.“

Der Philosoph Jacques Derrida entwickelt in der Zeit die Methode der Dekonstruktion: Kunstwerke oder Gesellschaft werden nicht mehr auf einen dahinterliegenden Sinn interpretiert - sondern dahinter steht gar nichts. Die Überzeugung: „Wenn wir Kunstwerke genauer anschauen, bröselt sich alles auf in viele mögliche Lesarten“, erklärt Reichert. Es wird kompliziert in der Zeit, aber auch aufregend. Die Ausstellung macht deutlich: Schon Jahrzehnte vor Talkshows und Gesetzentwürfen für und wider gendergerechte Sprache und Streit um Fleischkonsum wurden Kulturkämpfe durchgefochten. Es sei notwendig, noch einmal anzusehen, „wie das alles begann mit der Kulturalisierung der Politik, der Ökonomisierung der Kultur, der Entpolitisierung der Ökonomie und der Politisierung der Identität“, schreibt Reichert in einem Aufsatz im Katalog. „Ich habe den Eindruck, dass wir jetzt wieder Kämpfe führen, die sie damals alle schon gekämpft haben, und dass wir eigentlich immer noch mit diesen Geistern der Moderne rumlaufen“, sagt er. „Es wird gestritten um die richtige Sprache für alle, um die richtige Art zu leben für alle. Das haben sie damals alles schon durchgekämpft und heute ist alles so verbissen.“

Besucher können sich zwar ihren Teil zu heutigen Debatten denken, die Ausstellung ist aber nicht akademisch. Kunst, Design, Architektur aus der Zeit der Postmoderne versprühen Lust an bizarrem Spektakel und Humor. „Das war unsere große Entdeckung: Wie lustig das alles war“, sagt Reichert. Gebäude der Moderne werden wortwörtlich gesprengt. Stanley Tigerman versenkt einen Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe im Lake Michigan. Die Künstlergruppe Ant Farm jagt einen zu einer Rakete umgebauten Cadillac durch eine Wand aus Fernsehgeräten. In der Kunst wird zitiert (oder: geklaut?), was das Zeug hält und im Design werden Geschmacksfragen beantwortet mit: „Anything goes“ - „Alles ist möglich“. Den Schlusspunkt der Postmoderne setzen die Ausstellungsmacherinnen im Jahr 1992. In dem Jahr wird auch die Bundeskunsthalle eröffnet. Den postmodernen Bau bezeichnen die Verantwortlichen als das „größte Exponat“ der Ausstellung. „Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967-1992“ läuft noch bis 28. Januar. (dpa/sc)

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