„Wer war Papa?“ - Todkranke Eltern nehmen Hörbücher auf

<p>Selina Pfrüner, Audiobiografin und Mitarbeiterin beim Familienhörbuch, im Tonstudio. Eine Kölner Initiative produziert mit todkranken Eltern Hörbücher für deren Kinder. Damit diese später erfahren, was für ein Mensch Mama oder Papa gewesen ist.</p>
Selina Pfrüner, Audiobiografin und Mitarbeiterin beim Familienhörbuch, im Tonstudio. Eine Kölner Initiative produziert mit todkranken Eltern Hörbücher für deren Kinder. Damit diese später erfahren, was für ein Mensch Mama oder Papa gewesen ist. | Foto: Oliver Berg/dpa

Was soll mein Kind unbedingt über mich wissen? Benedikt Bodendorf hat sich vor kurzem intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Ziemlich schnell stand für ihn fest, was er auf jeden Fall erzählen wollte: „Da komm ich her. So bin ich aufgewachsen. Das treibt mich um. Meine Hobbys. Meine peinlichen Geschichten - die vielleicht auch meine Frau noch gar nicht kennt.“ Wenn man mit Benedikt Bodendorf spricht, hört man im Hintergrund seine kleine Tochter krähen, 16 Monate alt. Leider muss der junge Familienvater befürchten, dass sie, wenn es schlecht läuft, kaum eigene Erinnerungen an ihn bewahren wird.

Seit 2016 kämpft der Kölner mit einer akuten lymphatischen Leukämie. Zweimal bekam er Stammzellen transplantiert. Fast fünf Jahre hatte er Ruhe, dann kam der Rückfall. Jetzt ist er 34 und in einer sogenannten Erhaltungstherapie - mit der Hoffnung, dass sich in der Forschung noch was tut. „Das alles hat sehr düstere Gedanken in mir ausgelöst. Ich hatte die Angst, dass meine Tochter mich nie richtig kennenlernt.“ Irgendwann sprach er darüber mit einem Psycho-Onkologen. „Als er von meiner Angst gehört hat, hat er gesagt, dass ihm Kollegen vom Familienhörbuch erzählt haben.“ Einem Hörbuch, das Mütter und Väter für ihre Kinder produzieren, wenn absehbar ist, dass sie sie auf dem Weg ins Erwachsenenleben nicht mehr begleiten können. Ein „Zukunftsgeschenk für die Ohren“, wie es auf der Website der Initiative heißt.

Begründet hat das Familienhörbuch die Journalistin Judith Grümmer. Die Idee dazu sei in vielen Jahren in ihr gereift, erzählt sie in dem Studio in der Kölner Innenstadt, in dem viele der Hörbücher entstehen. 2017 nahm das Projekt konkrete Formen an, mittlerweile steht dahinter ein Team von fünf Festangestellten, 60 Honorarkräften und 20 Ehrenamtlichen. Besonders wichtig sind die sogenannten Audiobiografen, die den jeweiligen Teilnehmer wie ein Regisseur und Coach beraten. Sie haben alle eine extra Ausbildung durchlaufen. Dazu kommen Techniker, Psychologen, Grafiker.

Die Kosten für ein Hörbuch mit jeweils maximal 100 Arbeitsstunden betragen etwa 5.000 bis 6.000 Euro - finanziert wird das alles aus Einzel- und Firmenspenden sowie einigen zeitlich befristeten Förderzusagen. Derzeit nähmen die Anfragen stark zu, das Geld reiche aber nur noch so gerade, sagt Grümmer. „Wir haben alle Angst vor der Warteliste. Denn warten - dafür fehlt unseren Teilnehmern die Zeit.“ Manchmal schaffen es Teilnehmer nicht, das Hörbuch fertigzustellen, weil sie vorher sterben. Einmal starb eine junge Mutter einen Tag nach dem Ende der Tonaufnahmen. Ein anderes Mal blieb einer Mutter von drei kleinen Kindern nur noch ein Wochenende Zeit für das Hörbuch, weil sie wusste, dass am Dienstag danach eine Hirn-OP anstand, die ihr Sprachzentrum beeinträchtigen würde. Sie hat das Hörbuch noch rechtzeitig aufnehmen können.

„Ich fand es eine sehr schöne Idee, den Hinterbliebenen eine persönliche Botschaft hinterlassen zu können“, sagt Benedikt Bodendorf. „So dass meine Tochter weiß: Wer war Papa, was hat er so gemacht?“ Nachdem er sich bei Judith Grümmer beworben hatte, ging alles ganz schnell. Von der Struktur her wollte er chronologisch vorgehen. Es ging ja darum, seine Geschichte zu erzählen. Seine Audiobiografin war Selina Pfrüner. „Das war ein sehr, sehr schönes Verhältnis, das wir uns da aufgebaut haben“, sagt er. An einer Stelle hat er zum Beispiel darüber erzählt, wie er mit Kassetten und Videobändern groß geworden ist. „Selina hat dann manchmal eine Karte hochgehalten mit der Botschaft "expliziter" oder "genauer". Dann hab ich versucht, das nochmal besser zu erklären, weil es ja auch eine Art Zeitzeugnis ist. Meine Tochter wird bestimmt keinen Kassetten-Recorder mehr kennen.“ Er muss lachen, wenn er daran zurückdenkt.

Selina Pfrüner spricht von dem Schalk in der Stimme, mit dem Benedikt Bodendorf sein Leben erzählt habe. Viel Zeit hat er auf die Beschreibung seiner Jugend verwandt, auf Dinge, die ihn damals fasziniert haben, denn letztlich ist es ja das, was einen dann ein Leben lang prägt: „Ich bin eher so'n Nerd-Popkultur-Mensch. Ich hab früh mit Computern angefangen, während der Schulzeit auch ganz exzessiv "World of Warcraft" gespielt.“ Er hat seiner Tochter erzählt, was daran cool ist, aber auch, was die negativen Seiten sind. „Dann hab ich versucht, ihr auch noch meine anderen Hobbys nahe zu bringen: Gesellschaftsspiele, Kartenspiele, Radtouren. Man erzählt so über sich und schweift manchmal auf Gott und die Welt ab.“

Nächstes Kapitel: das Mathematik-Studium. „Da hab ich auch meine Frau getroffen. Also kommt an der Stelle die Kennenlern-Geschichte.“ Irgendwann ging's auf das Jahr 2016 zu, „und da ist dann das Biest, die Krankheit. Da sind ein paar sehr emotionale Kapitel entstanden, um einfach auch klarzumachen: Was ist das denn, womit ich hier kämpfe?“ Er ist davon überzeugt, dass seine Tochter das sogar jetzt schon mitbekommt: „Ich bin ja immer noch in Behandlung und kann vieles gar nicht so machen, wie ich es als Papa gerne machen würde.“ Schließlich ist er im Hier und Jetzt angelangt. Gleichsam als Bonusmaterial hat er noch das erste Kapitel von einem seiner Lieblings-Kinderbücher vertont, „Ein Bär namens Paddington“. Jetzt ist das Hörbuch im Schnitt. Es wird aufwendig mit Musik und Geräuschen unterlegt, fast wie bei einem Hörspiel. „Es ist so individuell wie der einzelne Mensch“, sagt Tontechnikerin Sitara Schmitz.

Judith Grümmer hat die Erfahrung gemacht, dass die Projektteilnehmer während der Aufnahme einen Reifungs- oder Entwicklungsprozess durchmachen. „Sie fangen an, sich noch einmal anders mit ihrer Endlichkeit auseinanderzusetzen. Und sie merken, dass sie - obwohl sie noch jung sind - doch schon ein reichhaltiges Leben gelebt haben.“ Das helfe ein wenig, seinen Frieden mit dem bevorstehenden Ende zu machen. Benedikt Bodendorfs Hörbuch heißt „Ich - Einfach unverbesserlich“. Einer der Ratschläge, die er seiner Tochter darin mit auf den Weg gegeben hat, lautet: „40 Sushi kann man essen. Gut geht's einem danach nicht.“ (dpa/sc)

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