Die Schweiz und die heiklen Russland-Geschäfte

<p>Ein Öltanker liegt im Hafen im Sheskharis-Komplex der Chernomortransneft JSC, einer Tochtergesellschaft der Transneft PJSC, einer der größten Anlagen für Öl und Erdölprodukte in Südrussland.</p>
Ein Öltanker liegt im Hafen im Sheskharis-Komplex der Chernomortransneft JSC, einer Tochtergesellschaft der Transneft PJSC, einer der größten Anlagen für Öl und Erdölprodukte in Südrussland. | Foto: AP/dpa

An zwei Fronten fällt ein Schatten auf das Alpenland: Banken und Rohstoffhandel. US-Senatoren bezichtigten Schweizer Banken Mitte Juli bei einer Anhörung im Kongress, Handlanger Russlands bei der Umgehung westlicher Sanktionen zu sein. Über den Rohstoffhandel sagt Mark Pieth, pensionierter Schweizer Jura-Professor und fast 25 Jahre Vorsitzender der OECD-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Korruption, der Deutschen Presse-Agentur: „Ich gehe davon aus, dass in der Schweiz Leute (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin und seinen Kumpanen bei der Umgehung der Sanktionen helfen“. Das Problem: „Die Rohstoff-Branche ist vollkommen unkontrolliert.“ Am Montag wollte das US-Finanzministerium beim Verband des Rohstoffhandels (STSA, Suissenégoce) in Genf vorstellig werden. Der Verband sagt, es gehe bei dem Gespräch um Energieversorgung und „die Folgen der Sanktionen auf die weltweite Energieversorgung“. Es ist zu erwarten, dass die Amerikaner auch Tacheles reden wollen.

Uhren, Käse, Schokolade: Das sind Exportschlager der Schweiz, aber das Land ist auch eine der global wichtigsten Drehscheiben des Rohstoffhandels. Viele der weltgrößten Rohstoffhändler ziehen die Fäden aus der Schweiz: Glencore, Vitol, Trafigura, Mercuria und Gunvor. Rund 900 Unternehmen sind in der Branche tätig. Glencore war 2022 nach Umsatz fast so groß wie das größte deutsche Unternehmen Volkswagen. Russland-Geschäfte seien seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 weitgehend zurückgefahren worden, heißt es bei allen. Einige handeln noch mit raffinierten russischen Erdölprodukten - alles, ohne Sanktionen gegen Russland zu verletzten, wie sie betonen.

„Der Krieg hat die enge Verflechtung des Rohstoffhandelsplatzes Schweiz mit autokratischen Regimes auf tragische Weise wieder in den Fokus gerückt“, sagt die Grünen-Abgeordnete Franziska Ryser. „Vor dem Krieg wurden geschätzt 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels über Genf, Zug, Lugano und Zürich abgewickelt.“ Beim Öl waren es nach Recherchen der Organisation Public Eye, die Unternehmen mit Sitz in der Schweiz bei ihren Geschäften auf die Finger schaut, 50 bis 60 Prozent: „Das machte die Schweiz zum Hauptdealer eines Europas, das süchtig nach russischem Öl war.“

Die Schweiz gehört nach eigener Darstellung „zu den weltweit größten Handelsplätzen von Erdöl, Metallen, Mineralien und Agrarprodukten. Sie ist Weltmarktführerin beim Handel mit Zucker, Baumwolle, Ölsaaten und Getreide“, wie es auf Regierungswebseiten heißt. Dazu kommen auch Kupfer, Kobalt, Nickel, Zink, Eisenerz, Erdgas und anderes. Die Behörden preisen zudem die Infrastruktur: Banken mit Spezialisierung auf die Finanzierung des Rohstoffhandels, Wareninspektionsfirmen, Reedereien und Versicherungen. Auf diesem Nährboden ist im Februar 2022 in Genf die Firma Fractal gegründet worden. Sie hat in kürzester Zeit eine große Flotte aus alten Öltankern zusammengekauft und dürfte nach Schätzungen von Branchenexperten heute einer der größten Transporteure von russischem Rohöl sein. Sie transportiert es aus russischen Häfen am Schwarzen Meer, im Baltikum oder am Pazifik etwa nach China oder Indien. Ganz legal. Die westlichen Industrienationen erlauben trotz ihrer Sanktionen solche Transporte, wenn die Firmen sich an den Höchstpreis von 60 Dollar pro Barrel für russisches Öl halten. Fractal äußert sich auf dpa-Anfrage nicht zu seinen Geschäften.

Die Schweizer Grünen verlangen wie Public Eye eine Aufsichtsbehörde für den Rohstoffhandel, aber bislang ohne Erfolg. Es gebe bislang keine Vorkehrungen gegen Geldwäscherei und keine Transparenz darüber, was für Gelder an Autokraten fließen, sagt Ryser. Die Grünen wollen im Spätsommer den nächsten Vorstoß im Parlament machen. Lobbyisten haben eine Aufsicht bislang verhindert. „Problem ist nicht nur eine Form von Gier“, sagte Pieth der dpa. „Es ist auch ein merkwürdiges Verständnis von Neutralität, das Unterstützung für Russland bedeutet.“ Die Neutralität führt die Schweiz zum Ärger der westlichen Verbündeten auch an, um die Weitergabe von Schweizer Rüstungsgütern an die Ukraine zu verhindern, ebenso von alten deutschen Panzern, die sie mal als Ersatzteilspender gekauft hatte.

„System ist immer noch in Kraft und ermöglicht es Russland, Sanktionen zu umgehen.“

Bei der Anhörung im US-Kongress Mitte Juli bezeichnete der Gründer des Antikorruptionsprojekts (OCCRP), Drew Sullivan, die Schweiz als „Dienstleister für Verbrecher“. Banken, Treuhänder, Anwälte helfen nach seiner Darstellung dabei, schmutziges Geld zu verstecken. „Dieses System ist immer noch in Kraft und ermöglicht es Russland, die Sanktionen zu umgehen“, sagte er. Der einstige Investor in Russland und heutige Kreml-Kritiker Bill Browder sagte: „Die Schweizer Regierung möchte den Eindruck erwecken, dass sie etwas tut, aber in Wirklichkeit tut sie nichts, weil so viel Geld mit russischem Schwarzgeld verdient wird.“

Die Regierung wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Die Schweiz setzt die internationalen Standards zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Steuerhinterziehung um“, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit. „Die Schweiz hat den rechtlichen Rahmen ihres Dispositivs zur Abwehr von Geldern kriminellen Ursprungs Anfang 2023 letztmals angepasst.“ Ein Gesetz mit weiteren Verschärfungen sei geplant. (dpa/sc)

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