Titan

Die Nachrichten um das verschwundene U-Boot Titan haben zweifellos die internationale Bühne in ihren Bann gezogen. Fünf vermisste Personen in den Tiefen des Ozeans bilden ein Szenario, das Dramatik und Spannung in sich trägt - Stoff für Hollywood. Indes gibt es ein anderes Drama, das sich in unseren Gewässern abspielt und das in den Medien weit weniger beachtet wird. Mehr als 600 Menschen verloren ihr Leben auf einem Flüchtlingsboot, aber ihre Geschichten verlieren sich in der Masse der täglichen Nachrichtenflut.

Warum ist das so? Warum erregt das Schicksal der fünf U-Boot-Insassen mehr Aufmerksamkeit als das der 600 Flüchtlinge? Vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie diese Ereignisse in den Medien dargestellt werden. Das mysteriöse Verschwinden eines U-Boots erzeugt eine Detektivgeschichte voller ungelöster Rätsel und bietet reichlich Stoff für Spekulationen.

Das Flüchtlingsboot hingegen, dessen Tragödie auf humanitärem Versagen beruht, ist eine Geschichte, die wir nur allzu gut kennen und die wir möglicherweise aus Selbstschutz meiden. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, wie wir uns in andere hineinversetzen können. Für viele von uns ist es leichter, sich das Leben an Bord eines technologisch hochentwickelten U-Boots vorzustellen als das entsetzliche Schicksal von Menschen, die alles riskieren, um der Verzweiflung und Not zu entkommen. Diese Diskrepanz wirft wichtige ethische Fragen auf. Sind einige Leben mehr „newsworthy“ als andere? Ist es gerecht, das Leid einer kleineren Gruppe über das Leid einer größeren zu stellen? Es ist an der Zeit, dass wir uns dieser Fragen stellen und die Bedeutung, die wir den Leiden anderer beimessen, neu bewerten. Jedes Menschenleben ist wertvoll und jede Tragödie verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Es sollte nicht darum gehen, welches Szenario sich besser verkaufen lässt, sondern darum, die Menschlichkeit zu bewahren und die Wahrheit in all ihrer Schärfe und Unbequemlichkeit zu berichten.

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