Twitter unter Elon Musk: Ein halbes Jahr im Krisenmodus

<p>Elon Musk beiMarketingkonferenz „POSSIBLE“</p>
Elon Musk beiMarketingkonferenz „POSSIBLE“ | Foto: Rebecca Blackwell/AP/dpa

Seit einem halben Jahr herrscht Tech-Milliardär Elon Musk über Twitter - und der Kurznachrichtendienst läuft seitdem im permanenten Krisenmodus. Massenentlassungen, Abwanderung von Werbekunden, Streit mit Medien: Die Turbulenzen finden kein Ende. Aktuell liegt Musk im Clinch mit vielen der populärsten Nutzer seiner Plattform, die sich gegen die einst begehrten Verifikations-Häkchen in ihren Profilen sperren - weil sie in ihnen inzwischen eher ein Erkennungszeichen für Rechte und Spinner sehen.

Für Musk war der 44 Milliarden Dollar schwere Twitter-Kauf bisher auch eine schlechte Investition. Bei der jüngsten Ausgabe von Aktien an Mitarbeiter wurde der Firmenwert nur noch halb so hoch angesetzt, wie Musk in einem BBC-Interview bestätigte. Zugleich behauptete er in einer E-Mail an die Belegschaft, Twitter könne irgendwann 250 Milliarden Dollar wert sein. Die Andeutungen, der Dienst könne die Basis für eine Super-App nach dem Vorbild etwa von WeChat in China werden, gingen bisher aber nicht über bloße Gedankenspiele hinaus. Von einst rund 8000 Mitarbeitern blieben noch rund 1500 übrig.

Geschäftszahlen muss Twitter seit Verlassen der Börse nicht mehr nennen. Musk behauptete erst, dass sich die Werbeerlöse zeitweise halbiert hätten und er Twitter mit einer Geldspritze vor der Pleite habe retten müssen. Zuletzt sagte er, dass die Verluste nur noch gering seien. Nach dem Abgang von Werbekunden sollen mehr Abo-Erlöse her. So dürfen Werbekunden nur noch Anzeigen schalten, wenn sie ein kostenpflichtiges Abo für ein Häkchen-Symbol als Einzel-Account oder Unternehmen abschließen.

Musk hat Twitter verändert. Eine große Umwälzung mit noch ungewissen Folgen für die Glaubwürdigkeit der Plattform läuft gerade: Die Umwidmung der blauen Symbole, die einst einen von Twitter einwandfrei verifizierten Account auswiesen. Musk kündigte ursprünglich an, dass die alten kostenlosen Häkchen gelöscht werden - und die identischen Symbole nur noch Profile tragen sollen, deren Besitzer 9,52 Euro Abo-Gebühr pro Monat bezahlen. Eine echte Verifizierung gibt es dabei nicht, nur eine Telefon-Nummer wird bestätigt.

Viele Prominente - für die die Häkchen einst geschaffen wurden - weigerten sich, dafür Geld zu bezahlen. Dagegen sprangen viele Musk-Fans und Rechte, die sich vom „alten Twitter-Regime“ unterdrückt fühlten, auf den Zug auf. „Verifikation bedeutete, dass eine Person ein Schauspieler oder Journalist oder etwas ähnliches ist“, spottete etwa der Musiker Max Collins von der Rockband Eve 6 in einem Tweet. „Jetzt bedeutet es, dass dahinter ein weißer Nationalist mit 30 Followern steckt, oder jemand, der Kryptowährungen verkauft.“ Collins und andere riefen Nutzer auf, Accounts mit Häkchen sofort zu blocken.

In der Nacht zum vergangenen Freitag verschwanden die blauen Symbole bei den einst verifizierten Accounts zunächst wie angekündigt - schon am Wochenende tauchten sie bei zahlreichen Accounts mit mehr als einer Million Follower wieder auf. Viele waren nicht glücklich darüber und legten Wert auf die Feststellung, dass sie Musks Twitter kein Geld bezahlten. Schauspieler Patton Oswalt jubelte, als er entdeckte, dass er durch einen kurzfristigen Wechsel des Profilnamens das Häkchen los wurde.

Zwischendurch verkündete Musk, dass er für drei unwillige Prominente - Basketball-Star LeBron James, Schriftsteller Stephen King und Schauspieler William Shatner - die Abo-Gebühr aus eigener Tasche bezahlt habe. Ausgerechnet Musk, der über Willkür bei der Vergabe der Häkchen im alten Verfahren schimpfte, das die Nutzer in „Lords und Bauern“ geteilt habe, entschied damit eigenmächtig, wer das Symbol entgegen einer angeblich für alle geltenden Regel behielt.

Auch an anderer Stelle hielten seine Versprechen nur bedingt. So beschwor er stets eine „absolute Redefreiheit“, die es bei seinem Twitter geben solle. Mehrfach wurden jedoch Accounts von Journalisten für angebliche Verstöße gegen Twitter-Regeln gesperrt, wenn sie Links zu ihren Artikeln posteten.

Unter der Fahne der Redefreiheit gibt es bei Twitter inzwischen aber mehr Raum für rechte Ansichten und Impf-Skeptiker - beides Überzeugungen, die Musk selbst vertritt. Zahlreiche Accounts, die wegen Hassrede oder der Verbreitung potenziell gefährlicher Unwahrheiten über das Coronavirus oder Impfstoffe blockiert waren, wurden wieder freigeschaltet. Reichweite-Bremsen für staatliche Medien wie die russische Nachrichtenagentur Tass wurden aufgehoben.

Auch den Account von Ex-Präsident Donald Trump, der nach Zuspruch für seine randalierenden Anhänger im Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol gesperrt wurde, ließ Musk nach einer knapp ausgegangenen Umfrage unter Twitter-Nutzern wieder freischalten. Trump blieb bisher aber lieber bei seiner hauseigenen Twitter-Kopie Truth Social.

Musk tritt als einflussreicher Verstärker rechter politischer Ansichten vor seinen rund 136 Millionen Followern auf, die sonst vielleicht viele dieser Tweets und Behauptungen nicht gesehen hätten. Er selbst warf zum Beispiel Medien vor, „rassistisch“ gegen Weiße zu sein und beschimpfte die Demokraten von US-Präsident Joe Biden als „Partei der Spaltung und des Hasses“. Einige Forscher kamen zu dem Schluss, dass Hassrede bei Twitter zugenommen habe. Musk wies dies im BBC-Interview vehement zurück. Die früheren Transparenz-Berichte veröffentlichte Twitter für die Zeit nach der Übernahme aber nicht mehr.

Zugleich muss Twitter innerhalb rechtlicher Leitplanken agieren - und Regulierer haben Fragen. So ist der Dienst in den USA nach früheren Verstößen an Zusagen an die Verbraucherschutz-Aufsicht FTC gebunden. Laut US-Medienberichten gibt es Untersuchungen, ob Twitter sich daran hält. Musk habe versucht, Behördenchefin Lina Khan zu treffen, sei aber abgeblitzt, schrieb jüngst die „New York Times“.

In Deutschland löste ein Bericht, wonach Twitter die Reichweite von Musks Tweets zeitweise künstlich hochgeschraubt habe, Untersuchungen der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) aus. Musk bestritt zwar, dass es sich dabei um mehr als nur einen Software-Fehler handelte. Der von Twitter offengelegte Software-Code für einen Empfehlungs-Algorithmus zeigte aber, dass es für Musks Tweets eine eigene Kategorie gibt. In einem Livestream darauf angesprochen, sagte ein Twitter-Entwickler dazu, man wolle sichergehen, dass bei Änderungen niemand benachteiligt werde.

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