Flicks verflixte WM-Mission

<p>Im Testspiel gegen Oman trug Neuer noch die „One-Love“-Binde</p>
Im Testspiel gegen Oman trug Neuer noch die „One-Love“-Binde | Foto: dpa

Manuel Neuer spulte im schwarzen Langarm-Shirt seine vor unzähligen Fußballspielen eingeübten Torwart-Rituale ab, aufmerksam beobachtet von Hansi Flick. Der stand am Dienstagvormittag im Mittelkreis und hielt seine flache Hand vor die Stirn, um seinem Kapitän beim Abschlusstraining besser zusehen zu können. Neuer wird die Nationalmannschaft an diesem Mittwoch in Doha unter einer besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit im Chalifa International Stadium gegen Japan auf den Platz führen - ohne die jetzt schon zu einem historischen WM-Symbol gewordene „One-Love“-Binde. Neuer und das gesamte DFB-Team, so scheint es gerade, haben in Katar schon verloren, bevor ihr erstes Spiel überhaupt angepfiffen ist.

Die Lust auf WM-Fußball ist in Flicks Team um Veteran Neuer und Jungstar Jamal Musisla auch nach dem Binden-Machtkampf groß. Aber die Heiterkeit hat auch im DFB-Quartier am nördlichsten Zipfel Katars gelitten. Die Arbeit auf dem Platz wirkte am Dienstagvormittag sehr konzentriert. Die Lockerheit ist verflogen.

Der Bayern-Block ist gesprengt: Sanés Ausfall zwingt Flick vorne zum Umdenken.

Der 36 Jahre alte Neuer hatte die „One-Love“-Botschaft als sichtbares Zeichen für Menschenwürde eigentlich über den linken Oberarm streifen wollen in seinem 17. WM-Spiel, bei seiner vierten und wohl letzten Weltmeisterschaft. DFB-Direktor Oliver Bierhoff beklagte empört eine „Drucksituation“ zum ungünstigsten Zeitpunkt für Spieler und Trainer, die bei dieser WM vollends zum Spielball in einem sportpolitischen Machtkampf geworden sind.

Und der 57-jährige Flick musste sich mit Alltagsproblemen eines Bundestrainers beschäftigen. Denn Leroy Sané fehlte auf dem Trainingsplatz vor der rund 110 Kilometer weiten Busfahrt aus Al-Ruwais ins Spieltagshotel in der Hauptstadt Doha.

Der 26 Jahre alte Angreifer fällt mit Problemen am rechten Knie aus. Ob die Probleme schlimmerer Art sind, blieb zunächst offen. Damit ist der starke, sieben Spieler umfassende Bayern-Block, auf jeden Fall gesprengt und kann nicht komplett gegen Japan auflaufen. Wenn das denn Flicks Idee war.

Was plant der deutsche Trainer? Diese Frage steht seit der Ankunft des DFB-Trosses in Katar unbeantwortet im Raum. Flick zog sich komplett zurück. Kein öffentliches Wort zu nichts und niemandem mehr. Vier Tage geheimes Taktik-Training in der roten DFB-Burg in Al-Shamal. Ein Unentschieden oder gar eine Niederlage würde die Situation in der Gruppe vor dem Spanien-Spiel sofort zuspitzen.

„Bei einer WM ist es immer wichtig, dass du gut in ein Turnier startest. Das heißt: Wir müssen von der ersten Minute an da sein“, hatte Flick in Maskat gesagt, nach dem matten 1:0 gegen den Oman.

Das „Mindset“, wie Youngster Musiala sagte, also die Denkweise, sei innerhalb des Teams ganz darauf ausgerichtet, „dass wir den Titel gewinnen können“. Flick glaubt, dafür die richtige Gruppe nominiert zu haben, mit den passenden fußballerischen Stärken und Charakteren. Mit Neuer, Antonio Rüdiger, Joshua Kimmich und Thomas Müller als Achse, mit ein paar jungen Wilden und einem spät berufenen Torjäger-Joker wie Niclas Füllkrug.

Keiner weiß jedoch, ob Flick gerade WM-Veteran Müller zutraut, nach wochenlanger Pause wegen diverser körperlicher Probleme die deutsche Offensive sofort wieder anführen zu können, womöglich sogar ganz vorne als Sturmspitze. „Thomas hat einen guten Eindruck hinterlassen“, wusste immerhin Neuer nach den Trainingseindrücken zu berichten. Sanés Ausfall zwingt Flick vorne zum Umdenken. Serge Gnabry nach links? Jonas Hofmann rein? Oder Musisla aus dem Zentrum auf den Flügel verschieben? Gibt es womöglich einen Auftakt-Coup mit Nationalmannschafts-Rückkehrer Mario Götze, der die Sané-Leerstelle in der bei Eintracht Frankfurt gezeigten Topverfassung in seinem ersten Länderspiel seit fünf Jahren vermutlich wirkungsvoll ausfüllen könnte? „Mario ist ein genialer Fußballer“, hatte Flick bei der WM-Nominierung über den „sehr reifen“ Götze gesagt. Und: „Er ist topfit.“

Um Fitness, um Bereitschaft, um Flicks immer wieder eingeforderte „All-in-Mentalität“ geht es gegen Japan. In einem Spiel, über dem allerdings für viele Fans daheim längst viel mehr als „nur“ der Schatten der verbotenen „One-Love“-Binde liegt. (dpa/jod/mn)

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