Der Ort der bleibt: Tagebau-Dorf Morschenich sucht eine Zukunft

<p>Der Ort der bleibt: Tagebau-Dorf Morschenich sucht eine Zukunft</p>

Die Wege sind überwuchert, Reklameblätter quellen aus Briefkästen, die Fenster der Häuser sind zu, die Straßen menschenleer. Morschenich ist ein Geisterdorf. Der Ort mit früher etwa 500 Bewohnern liegt am Rand des Braunkohletagebaus Hambach. Die letzte Stunde für Morschenich hatte schon geschlagen, der Ort sollte abgebaggert werden. Dann kam mit einer erneuerten Planung im März 2021 die Wende: Morschenich bleibt. Aber in dem von Feldern umgebenen Ort stehen die Backsteinhäuser schon lange leer. Die einstigen Bewohner sind längst umgezogen, nach Morschenich-Neu. Was nun?

Die wenigen Autofahrer, die durch Morschenich-Alt in der Nähe von Düren fahren, brettern durch. Schließlich gibt es kein Geschäft, keine Kneipe, kaum Bewohner. Doch trotzig steht am Ortseingang, drei Kilometer von der Ausfahrt der A4 entfernt, ein Bekenntnis: „Ort der Zukunft“. Dass dieser Teil der Gemeinde Merzenich doch noch bestehen kann, ist etwas Besonderes am sonst Land verschlingenden Braunkohle-Tagebau. Die Symbolkraft will die Gemeinde nutzen: Morschenich wird zur Spielwiese für neue Ideen.

Lennart Schminnes ist hier Strukturwandelmanager. „Wir haben die Chance, alles neu zu denken“, sagt der Regionalplaner. Seit Anfang 2022 arbeitet der 26-Jährige, um die Gemeinde beim Wandel zu unterstützen. Es sei „spannender, als vom Reißbrett aus zu planen“, meint er.

Das finden andere auch. Studierende kommen an den Ort, der eine Zukunft sucht. Studenten der Fachhochschule Aachen haben ein großes Modell des Dorfes gebaut. Es steht in der einstigen Kita. Auch Denkmalschützer sind fündig geworden: Traditionelle Bergarbeiterhäuser aus den 1950er Jahren sollen geschützt werden.

Zu den neuen Ideen für Morschenich gehört eine Landwirtschaft der Zukunft. Direkt vor dem Ort betreibt das Institut für Pflanzenwissenschaften am nahe gelegenen Forschungszentrum Jülich eine Horti-Photovoltaik-Anlage: Sie erzeugt mit Solarzellen Strom und schützt gleichzeitig darunter wachsende Pflanzen vor extremen Wetterereignissen, berichtet Prof. Ulrich Schurr, der Direktor des Instituts. Kulturen wie Erdbeeren, Blaubeeren oder Obstbäume sollen so besser gedeihen als auf dem freiem Feld.

Die ehemaligen Bewohner leben aber schon im neuen, umgesiedelten Dorf, Morschenich-Neu. Es liegt auf der anderen Seite der Autobahn. „Wir sind alle heimatverbunden“, sagt Inga Dohmes, die Ortsvorsteherin. Die Straßennamen im neuen Viertel sollen das alte Morschenich erinnern. So wurde aus der Ellener Straße zum Beispiel die Ellener Allee. Manchmal gibt es aber Verwirrung, erzählt Dohmes. So seien neulich Glasscheiben für Morschenich-Neu einfach an der ähnlich klingenden Straße im alten Ortsteil abgestellt worden. Dort leben nur noch wenige ursprüngliche Bewohner. Einige Wohnungen wurden inzwischen an Geflüchtete und Flutopfer vermittelt.

Die Ortsvorsteherin ist gebürtige Morschenicherin und, wie sie sagt, damit aufgewachsen, „dass alles wegkommt“. Die Kehrtwende, dass der Ort doch erhalten bleibt, sei ein Schlag gewesen. „Wir haben alle schöne neue Häuser“, sagt sie, „aber für viele von uns hätten es die alten weiter getan“. Viele wären wohl gar nicht weggezogen, wenn es diese Option früher gegeben hätte.

Fast alle knapp 200 Häuser in Morschenich-Alt gehören dem Energiekonzern RWE AG, der die Tagebaue im Rheinischen Revier betreibt. Man unterstütze die Gemeinde Merzenich auf ihrem Weg, Morschenich zum „Ort der Zukunft“ zu entwickeln und stehe in regelmäßigem Dialog, sagt ein RWE-Sprecher. Konkrete Pläne, was aus Morschenich einmal werden soll, gibt es noch nicht. „Wir wollen die Gebiete wieder in Nutzung bringen“, sagt Schminnes.

Doch zwei Orte mit einem Namen soll es nicht geben. Inga Dohmes hat mit 127 Morschenichern gesprochen und ein Stimmungsbild eingeholt: Die große Mehrheit der Umsiedler möchte das alte Dorf künftig „Bürgewald“ nennen. So heißt der in Sichtweite gelegene Wald. „Der Gemeinderat hat der Umbenennung zugestimmt, nun geht es auf den Instanzenweg“, berichtet Dohmes.

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