Von wegen Catenaccio: Immobile und die angriffslustigen Italiener

<p>„Ich spüre wie nie zuvor das Vertrauen“, sagt Ciro Immobile (rechts) unter anderem über Trainer Roberto Mancini.</p>
„Ich spüre wie nie zuvor das Vertrauen“, sagt Ciro Immobile (rechts) unter anderem über Trainer Roberto Mancini. | Foto: belga

Seinen schlechten Ruf wird Ciro Immobile irgendwie nicht mehr los. Dabei befindet er sich doch in bester Gesellschaft – mit Robert Lewandowski, mit Lionel Messi und mit Cristiano Ronaldo, allesamt Weltstars, und allesamt schon mal als Weltfußballer ausgezeichnet. Und nur diese drei haben in den vergangenen fünf Jahren in den großen europäischen Ligen mehr Tore erzielt, als, genau, Ciro Immobile. Dessen Bilanz: 23, 29, 15, 36 und zuletzt 20 Treffer für Lazio Rom.

Im vergangenen Jahr gewann Immobile den Goldenen Schuh als Europas bester Torjäger, und dennoch blieb ihm die Anerkennung verwehrt, nicht zuletzt in Italien. „Wenn er in einem anderen Land geboren wäre“, sagte damals sein Nationalmannschaftskollege Alessandro Florenzi, „wäre er ein Nationalheld.“ Ist er aber nicht. Tatsächlich wird an Immobile ständig herumgemäkelt, der Hauptvorwurf: Er könne nur für Lazio treffen, er könne nur gegen kleine Gegner treffen, und so weiter. Noch immer hängt dem 31 Jahre alten Angreifer aus Torre Annunziata in der Peripherie von Neapel das eine Jahr bei Borussia Dortmund nach. Er war ein 20 Millionen Euro teures Missverständnis, das nach 34 Spielen mit nur zehn Toren unter anderen mit Immobiles Einschätzung endete: „Die Deutschen sind kalt.“ Es folgten acht Spiele mit nur zwei Treffern beim FC Sevilla. Immobile, so danach die öffentliche Wahrnehmung, kann sich international nicht durchsetzen, er trifft nur daheim.

Italiens Nationaltrainer Roberto Mancini dagegen baut auf Immobile, was diesem offenkundig gut tut. „Ich spüre wie nie zuvor das Vertrauen von allen, dem Trainer und der Mannschaft“, berichtet der Torjäger, der bei seinen drei EM-Einsätzen zwei Treffer erzielt hat. Angetrieben wird Immobile auch vom Umstand, dass Italien vor drei Jahren die WM-Endrunde in Russland verfehlte. „Das war der schlimmste Moment meiner Fußball-Karriere.“

Italien will „die hässlichen Erinnerungen überschreiben“.

Um Immobile herum hat Mancini eine Reihe von Stürmern versammelt, die Italien ganz anders aussehen lassen als zu Zeiten des zynischen Catenaccio. Und die die zuletzt so angriffslustig eingestellte Squadra Azzurra auch über das Viertelfinale am Freitag in München gegen Belgien (21 Uhr) hinaus bringen sollen. Da sind zunächst Immobiles bisherige Nebenleute Lorenzo Insigne (30) und Domenico Berardi (26), aber auch ein „Joker“ wie Federico Chiesa (22).

Insigne ist mit nur 163 Zentimetern Körpergröße der kleinste EM-Spieler. Sein ehemaliger Klubkollege Goran Pandev, soeben zurückgetretenes Idol des EM-Debütanten Nordmazedonien, hat den gebürtigen Neapolitaner schon mal als „Italiens Messi“ bezeichnet, weil er schnell, technisch stark und zudem zäh ist. Berardi, der lange als schwieriger Charakter galt, reifte beim Provinzklub Sassuolo zum Teamplayer. In der vergangenen Saison traf er in 30 Spielen 17-mal.

Sie alle eint unter Mancini der feste Wille, eines der dunkelsten Kapitel der italienischen Fußball-Geschichte vergessen zu machen. Die verpasste WM, betont Immobile, „war für uns eine Lehre, die uns hoffentlich hilft, bei dieser EM weit zu kommen und die hässlichen Erinnerungen zu überschreiben“. Vielleicht reicht's ja dann für Ciro Immobile auch mal zum Nationalhelden. (sid/tf)

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