Depeche Mode beendet Welttour mit drei begeisternden Gigs in Köln

<p>Schnell wird bei Depeche Mode eines klar: Hier zelebrieren zwei Künstler nicht nur ihre Musik, sondern auch sich selbst. Und von „The Guardian“ mit den Weihen als „the most popular electronic band the world has ever known“ faktisch in den Olymp der Popgeschichte erhoben.</p>
Schnell wird bei Depeche Mode eines klar: Hier zelebrieren zwei Künstler nicht nur ihre Musik, sondern auch sich selbst. Und von „The Guardian“ mit den Weihen als „the most popular electronic band the world has ever known“ faktisch in den Olymp der Popgeschichte erhoben. | Foto: dpa/Pic One/Christian Ender

Eine Befürchtung, die sich allein schon aus dem Titel von Album und Tour „Memento Mori“ speist. Und die auch die Fans hegen, die heute beim letzten Auftritt in der LanxessArena dabei sind, wo die Synthie-Pop-Legenden bereits in der Vorwoche zweimal „sold out“ vermeldeten. Nach den Konzerten 110, 111 und 112 werden dann 50.000 Menschen Martin Gore und Dave Gahan in Köln „abgefeiert“ haben.

Seit dem Tourneestart vor Jahresfrist in Sacramento/Kalifornien haben gar insgesamt etwas mehr als zwei Millionen Fans die altrömische Weisheit „Bedenke, dass du sterben wirst“ gemeinsam mit dem verbliebenen Duo aus dem Gründungsjahr 1980 „zelebriert“. Mit teils ausufernden Ticketpreisen für die Chance, „die rohe, emotionale Kraft der Tour“ zu erleben, die von „Rolling Stone“ als „atemberaubende Feier des Lebens und der Musik” gewürdigt wird. Mit zwei Protagonisten, die einfach nicht genug kriegen. In Anlehnung an ihren Premierenhit „Just Can’t Get Enough“.

Dave Gahan überdreht wie ein eitler Gockel

Zu Recht! Denn die britische „Sehnsuchtsband“, für Kritiker wie Künstler eine beispiellose Inspiration, setzt in zwölfeinhalb Monaten ein weiteres Mal Maßstäbe, schlägt mit der symbolischen Feier der „Vanitas“, der Vergänglichkeit, ein weiteres Kapitel ihres ebenso unvergleichlichen wie fortdauernden Vermächtnisses auf. Jedenfalls haben die Musiker nichts an Vitalität eingebüßt. Auch nicht am Ende der ersten Tour ohne „Mediator“ Andrew Fletcher, vor knapp zwei Jahren überraschend verstorben und unbestritten der „Kitt“, der die „Paradiesvögel“ Dave Gahan und Martin Gore in ihrem gegenseitigen Abrieb zusammengehalten hat.

Und so steht in aller pochenden Schwärze ein einziger Song für lebhafte Erinnerung: „Behind The Wheel“ gilt als explizite Hommage an „Fletch“, gefolgt von einer durchaus spontanen Umarmung. Ansonsten ist nur Platz für das Gegenwartserlebnis, getragen von ewig jungen Blockbustern, filigran aneinandergereiht wie an einer Perlenkette. Elektronisch und elitär, bombastisch und symphonisch. Rund zwei Stunden, in der Tonart wie erwartet dominiert von Moll, nur gelegentlich durchwirkt von Dur.

Aktuelle Songs (eine persönliche Verneigung besonders vor dem gänzlich frischen „Before We Drown“) wechseln mit Klassikern und teils Welthits wie „Personal Jesus“, „It’s No Good“, „Walking in My Shoes“, „In Your Room“, „I Feel You“, „Policy Of Truth“, „Stripped“, „Precious“, „A Pain That I’m Used To“, „Waiting for the Night“, „Black Celebration“, „Never Let Me Down Again“ oder „Enjoy The Silence“. Wenngleich die Stille an diesem denkwürdigen Abend keine Chance hat!

Alles vor einem fast schon minimalistischen Bühnenbild, auf dem zu Beginn ein überdimensionales „M“ in fetten Pinselstrichen grafisch Gestalt gewinnt. Der dreizehnte Buchstabe des Alphabets als Projektions- und Reflektionsfläche für songbezogene Bilder, die meisten dunkel-düster, teils sogar finster-unheilvoll, nur selten poppig-frisch aufgehellt. Den „farblichen“ Gegenpol zum anfangs blutroten Licht setzt das Publikum, das als „Black Swarm“ größtenteils dem unausgesprochenen Depeche-Mode-Dresscode folgt.

Blickfang „on stage“ ist selbstverständlich Sänger Dave Gahan, der wie ein eitler Gockel über die Bühne stolziert oder Pirouetten im Stile eines prämierten Dressurpferdes dreht. Und in seinem Selbstverständnis als Gigolo buchstäblich lechzende „Zungenspiele“ mit seinem Mikrofonständer treibt – als eine Art Phallusersatz. Den „DM“-Hymnen gibt er mit wohltönendem Bariton, ohne schroffe Einschläge, melodische Gestalt. Hier schwebt zum elektronischen Soundteppich jedes Wort klangschön – ganz gleich ob Rock, Pop, Dance oder Ballade.

Tapsiger Martin Gore als kreatives Alter Ego

Ganz anders sein kreatives „Alter Ego“ Martin Gore, der - wenn er sich hinter dem Keyboard „hervorwagt“ und zur Gitarre greift - irgendwie tapsig und ziellos über die Bühne walkt. Das Gesicht zerknautscht, die Frisur wie beim Zähneputzen, doch seine meist kurzen Soli mit hörbarer Wonne präzise platziert. Letztlich ist es gerade der „Spiritus Rector“, der Gänsehautmomente heraufbeschwört. In akustischen, aufs Nötigste verschlankten Versionen von „Strangelove“ und „Home“ (am Freitag ersetzt durch „Heaven“)!

Es ist das nie verblassende Charisma, mit dem die Musiker (inklusive seit einem Vierteljahrhundert Peter Gordeno an den Keyboards und Christian Eigner an den Drums) vorrangig die Musik sprechen lassen. Und darüber hinaus auch ein bisschen sich selbst. Und so bleibt die Erkenntnis, dass die Band zwar älter wird, dafür aber nicht schlapper.

Von daher scheint die Mahnung an die (kreative) Sterblichkeit noch in weiter Ferne. Der rund zweistündige Ritt durch die Musikgeschichte zeigt stattdessen: Die Briten sind ihrer Grundstimmung treu geblieben. „Depeche Mode – ein Genre für sich.“ So die angesehene NZZ nach einem Gastspiel der Synthie-Pop-Propheten in Zürich. Und so wirken sie zum Ausklang der Tour wie eine Band, die faktisch immer da war. Und für manche den Soundtrack fürs erste gebrochene Herz geliefert hat.

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