Mit zweierlei Maß messen

In einem Leserbrief (9.1.24) hieß es, Südafrika (SA) habe Israel des Völkermordes bezichtigt, meint aber Russland. Korrekt? Seit Ende der Apartheid 1994 hat sich SA für die Palästinenser eingesetzt, zu sehr erinnert deren Situation an ihre vergangene. Einer Verurteilung Russlands hat sich SA auch entzogen. Gründe? Den 1. Völkermord des 19. Jh. beging Deutschland an den Herero und Nama in SW-Afrika, den es erst 113 Jahre später, 2021 anerkannte. Belgiens Agieren im Kongo wurde aufwendig von einer Kammerkommission dokumentiert, aber die Veröffentlichung im Januar 2024 „kurz vor Wahlen“ ausgesetzt. Auch erst 2021 setzten sich die Niederlande in einer Ausstellung mit ihrer Rolle als Sklavenhalter und -händler und dem daraus erworbenen Reichtum auseinander. In einer Umfrage danach hielt die Hälfte der Befragten eine Entschuldigung für unnötig. Eine im Auftrag der Regierung erstellte Studie ergab, dass an Kolonien und Sklavenhandel allein das Königshaus umgerechnet mindestens 0,5 Mrd. Euro verdiente. Der von SA angerufene IGH, das wichtigste Rechtssprechorgan der UN, beschied vorläufig, dass Völkermord im Gazakrieg nicht auszuschließen sei, und belegte Israel mit 6 Maßnahmen, die es sofort ablehnte. Für die 4. davon (den Palästinensern Grundversorgung und humanitäre Hilfe zu sichern) stimmten 16 von 17 Richtern inklusive des israelischen. Am nächsten Tag kündigten u.a. USA und Deutschland an, ihre Zahlungen an die UN-Hilfsorganisation einzustellen, Belgien zahlt weiter. Gerade Rechtsstaaten haben alles Interesse, die Autorität des IGH zu stärken. Russen drängen nach Afrika, fördern hier Diktaturen. Wenn der „freie Westen“ mit zweierlei Maß misst, wird er bald in der sich dramatisch verändernden globalen Welt verzweifelt nach „strategischen Partnern“ suchen. Die Spezies der demokratischen Rechtsstaaten wäre bedroht. Das kann auch nicht im Interesse der Israelis sein, selbst wenn ihr Premier dem Recht des Stärkeren huldigt.

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