Modell für Europa? Südtirol mit neuartiger Mitte-Rechts-Regierung

<p>Der Silvius-Magnago-Platz in Südtirols Hauptstadt Bozen, links der Sitz der Landesregierung, in der Mitte das Parlamentsgebäude.</p>
Der Silvius-Magnago-Platz in Südtirols Hauptstadt Bozen, links der Sitz der Landesregierung, in der Mitte das Parlamentsgebäude. | Foto: Christoph Sator/dpa

Es sind gerade besondere Tage in Südtirol. Zum einen, weil die mehrheitlich deutschsprachige Provinz im Norden Italiens einen neuen Helden feiern kann: Tennisprofi Jannik Sinner aus dem Bergdorf Sexten, der am Wochenende die Australian Open gewann und nun mit 22 Jahren am Beginn einer Weltkarriere steht. Und dann ist auch noch Zeitenwende in der Landespolitik: mit einer neuen Regierung so groß und auch so weit rechts stehend wie noch nie. Nach dem Ende ihrer Jahrzehnte langen Dominanz hat sich die christdemokratische Südtiroler Volkspartei (SVP) mit gleich drei Parteien aus dem rechten Lager verbündet. Ein Vorzeichen für andere Regionen in Europa?

Die Stimmung in der Urlaubsregion mit ihren 530.000 Einwohnern ist jedenfalls angespannt. Seit sich nach der Wahlschlappe der bisherigen „Sammelpartei“ im Herbst mit nur noch 34,5 Prozent die neue Koalition abzeichnete, kam es mehrfach zu Protestmärschen. Sogar ein Pappsarg mit den Initialen SVP wurde durch die Hauptstadt Bozen getragen. Aus Kunst und Wissenschaft gab es Warnungen vor einer „unverhohlen neofaschistischen Politik“. Manche werfen dem alten und neuen Regierungschef Arno Kompatscher einen „Pakt mit dem Teufel“ vor.

Drei Partner von rechts

Grund der Aufregung ist, dass zur neuen Koalition, die am Mittwoch ins Amt kam, auch Parteien gehören, die teils weit rechts stehen: die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit Ursprüngen im Postfaschismus, die rechtsnationale Lega von Vize-Regierungschef Matteo Salvini aus der gleichen Parteienfamilie wie die deutsche AfD und der flämische Vlaams Belang sowie die Freiheitlichen, die der rechtspopulistischen FPÖ aus dem Nachbarland Österreich nahestehen. Kleinster Partner im neuen Fünfer-Bündnis ist die konservative Bürgerliste La Civica.

Die Zusammenarbeit ist auch deshalb heikel, weil die SVP aus historischen Gründen stets großen Wert auf die Abgrenzung nach rechts gelegt hatte: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Südtirol und die Nachbarprovinz Trentino (damals: Welschtirol) von Österreich abgetrennt und Italien zuerkannt. Der faschistische Diktator Benito Mussolini ließ dann mit dem Ziel einer „Italianisierung“ Leute aus dem Süden ansiedeln. Deutsch wurde an den Schulen verboten.

<p>Arno Kompatscher</p>
Arno Kompatscher | Foto: Christoph Sator/dpa

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es Jahrzehnte, bis sich die Südtiroler nach einem ersten Autonomiestatut von 1948 das Statut in seiner heutigen Form erstritten. Die SVP war dabei prägende Kraft: Auch deshalb sollte man mit Vergleichen vorsichtig sein.

Regierungschef spricht von „Zweckgemeinschaft“

Kompatscher spricht von einer „Zweckgemeinschaft“, an der aufgrund von Wahlergebnis und Verfassung praktisch kein Weg vorbeigeführt habe. Zudem könne es von Vorteil sein, mit zwei Parteien zu regieren, die auch in Rom an der Macht sind. Die Opposition hingegen warf ihm am Mittwoch im Landtag vor, sich aus Rom erpressen lassen zu haben.

Tatsächlich ist im Autonomiestatut vorgeschrieben, dass an der Regierung immer auch eine Partei der italienischen Sprachgruppe beteiligt sein muss. So hatte die SVP auch zu Zeiten größter Dominanz immer auch einen Italo-Partner. Neu ist, dass es gleich drei sind - und auch, dass die SVP erstmals eine andere Partei aus dem deutschsprachigen Raum dazu nehmen musste. Die Mitte-Mitte-Rechts-Rechts-Rechts-Koalition (kurz: 2M3R) hat im Parlament nun 19 von 35 Mandaten. Damit im Kabinett alle Posten bekommen, wurde es von acht auf elf Ressortchefs vergrößert.

Kompatscher: Kein Modell für Regierungen rechts der Mitte

Kompatscher weist auch Vermutungen zurück, dass in Südtirol ein Modell für Regierungen weit rechts der Mitte ausprobiert werde, das dann auch in Belgien oder anderswo zur Anwendung kommen könnte. „Absolut nicht. Ich wehre mich dagegen, dass man hineininterpretieren möchte, dass wir der Vorreiter für irgendwas in dieser Richtung sein sollen.“ In der Koalitionsvereinbarung stehe ein klares Ja zu Europa und ein klares Nein zu jeglicher faschistischer Ideologie. „Es gibt eine klare rote Linie“ verspricht der SVP-Mann. „Wenn das in die falsche Richtung geht, wird die Reißleine gezogen.“ Die nächste Zeit wird er sehr unter Beobachtung stehen.

Der neue Tennisheld des Landes hält sich aus der Südtiroler Politik derweil heraus. Aus Australien ist Sinner wieder zurück, aber für die Heimat hat er noch keine Zeit. Stattdessen ließ er sich in Rom in einer Umarmung mit der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni fotografieren. An diesem Donnerstag, wenn sich das neue Fünferbündnis in Bozen an die Arbeit macht, bereitet ihm in der Hauptstadt auch noch Präsident Sergio Mattarella einen großen Empfang. Südtirol muss warten. (dpa/calü)

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