Aachener Student: „Bitcoins sind das Bargeld des Internets“



Für die Besitzer von Bitcoins war der Brexit ein Segen: Nach Bekanntwerden des britischen Votums für einen Ausstieg aus der Europäischen Union schnellte der Kurs dieser sogenannten Kryptowährung in die Höhe. Zuletzt notierte er bei rund 600 Euro, nachdem ein Bitcoin noch vor zwei Monaten 200 Euro weniger wert war. Investoren flüchteten massenhaft vom angeschlagenen Pfund in Bitcoins und andere virtuelle Währungen. Ihr Kalkül: Das weltweit agierende Bitcoin-Netzwerk ist nicht abhängig von politischen Entwicklungen wie der Entscheidung von Noch-Premier Cameron, ein Referendum über die Zugehörigkeit von Großbritannien zur EU auszurufen. Der Kurs wird aber auch von einer gehörigen Portion Spekulation getrieben. In Bitcoins stecke „Fantasie“, womit an den Märkten Potenzial gemeint ist. Verknappung spielt dabei eine große Rolle: Derzeit sind rund 15 Millionen Bitcoins im Umlauf, und die Höchstgrenze liegt bei 21 Millionen.

Doch was steckt eigentlich hinter dieser virtuellen Währung? Das wissen Yan Schreier und Eugen Salkutzan, zwei Studenten der RWTH Aachen. Bei einem Latte Macchiato sitzen sie in einem Bäckerei-Café in der Aachener Pontstraße. Vor ihnen: ein Laptop und zwei Smartphones. Mehr braucht es nicht, um die Bitcoin-Welt zu erklären. „Bitcoins sind das Bargeld des Internets“, erklärt Salkutzan, der an der RWTH Elektrotechnik studiert. Der große Unterschied: Bitcoins gibt es nicht als Scheine und Münzen. Das höchste der materiellen Gefühle sind sogenannte „Wallets“, schnöde DINA4-Seiten mit QR-Codes, die den Besitz der Bitcoins belegen können.

Bitcoin-Jünger behaupten: Wenn Schindluder getrieben wird, kann der Ursprung des Geldes zurückverfolgt werden.

Diese Virtualität lässt viele Menschen vor solchen Kryptowährungen zurückschrecken. Dann doch lieber das Bargeld unterm Kopfkissen. Doch die Bitcoin-Jünger sind anderer Meinung. Schließlich könnten Scheine und Münzen gestohlen werden, Bitcoins hingegen nicht. Solange der Besitzer sein persönliches Passwort nicht verliert bzw. vergisst, kann er überall auf der Welt über seine Bitcoins verfügen. Denn das virtuelle Geld besteht aus Codes, aus Einsen und Nullen.

Genau diese Charaktereigenschaft macht es so interessant, findet der Aachener Student Yan Schreier. „Bitcoin-Interessierte sind vor allem Technikfreaks“, sagt der 23-Jährige. Das System ist komplex. Da es keine Zentralbank oder dergleichen gibt, werden sämtliche Überweisungen durch den Zusammenschluss von Rechnern getätigt. So entsteht eine dezentrale Datenbank, die sogenannte Block Chain. Diese wird überwacht und gepflegt von „Minern“, die für diese Dienstleistung wiederum mit Bitcoins entlohnt werden. Diese „Miner“ sind nicht etwa irgendwelche Nerds, die Bitcoins in einem Kellerloch verwalten. Weil die dafür erforderliche Rechenleistung extrem hoch ist, stecken dahinter Computerunternehmen. Bevorzugt in Asien, weil dort der Strompreis niedrig ist.

Die Bitcoin-Welt ist selbst für viele technikaffine Menschen ein Buch mit sieben Siegeln. Yan Schreier und Eugen Salkutzan haben deshalb in Aachen eine Studentengruppe gegründet, die sich die Förderung dieser virtuellen Währung auf die Fahne geschrieben hat. Froh sind sie, dass die RWTH Aachen ihre Initiative unterstützt. So hat die Bitcoin-Gruppe einen seriösen Anstrich. Der ist auch nötig, denn Kryptowährungen leiden unter einem zweifelhaften Ruf. Da die Transaktionen anonym verlaufen, werde damit der organisierten Kriminalität Tür und Tor geöffnet, behaupten Kritiker. So gelten die seit 2009 existierenden Bitcoins als Brandbeschleuniger von Terror und Betrug. Yan Schreier und Eugen Salkutzan beschwichtigen. Sie sprechen lieber von einer „pseudoanonymen“ Währung, denn wenn es hart auf hart komme, könne die Block Chain jederzeit rückverfolgt werden. Mit anderen Worten: Wenn Schindluder getrieben wird, könne der Ursprung des Geldes stets nachvollzogen werden, was im Übrigen bei Bargeld nicht so einfach möglich sei.

Einmal im Monat organisiert die Aachener Bitcoin-Gruppe ein „Meet-up“, die Deutschpuristen würden es schlicht Informationsversammlung nennen. Für gewöhnlich erscheinen sechs bis neun Leute. Gehandelt wird mit Bitcoins dabei eher selten. Vielmehr geht es darum, Wissenslücken zu stopfen. „Wir sind eine Anlaufstelle für Gleichgesinnte und Bitcoin-Interessierte“, sagt Schreier. Er ist überzeugt, dass Bitcoin Zukunft hat. Die weltweiten Einsatzmöglichkeiten seien immens. Schreier war vor Kurzem in Kasachstan und hat dort mit Bitcoins sein Handyguthaben aufladen können. „Sonst wäre ich aufgeschmissen gewesen.“ Innerhalb von Sekundenbruchteilen wechseln Bitcoins den Besitzer, egal ob im Bäckerei-Café an der Pontstraße zwischen zwei nebeneinander sitzenden Kumpels oder zwischen Unternehmen in den USA und Japan.

Die Alltagstauglichkeit von Bitcoins hat aber ihre Grenzen: Wer Bitcoins einfach ausgeben möchte, muss erst jemanden finden, der sie auch akzeptiert. Einige Online-Shops tun dies, doch in der realen Welt fristen Kryptowährungen noch ein Nischendasein. Probe aufs Exempel: Könnten Schreier und Salkutzan ihren Latte Macchiato auch mit Bitcoins bezahlen, indem sie zum Beispiel vorher die virtuelle Währung spontan in Euros wechseln? Nein, das gehe eher nicht, sagt Student Schreier. Doch er dreht den Spieß um: „Warum akzeptiert diese Bäckerei noch keine Bitcoins?“