Kritik und Bewunderung für die Wallonie wegen Ceta-Haltung

Demo vor dem wallonischen Regionalparlament am Dienstagabend in Namur: „3,4 Millionen Europäer zählen auf die Wallonie. Stoppt Ceta“, heißt es auf dem Transparent. So viele Menschen aus allen europäischen Mitgliedsstaaten hatten eine Bürgerinitiative gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP unterzeichnet. | belga

Die Europäische Kommission hatte am Dienstag klar gemacht, spätestens bis zum kommenden Freitag müssten alle EU-Mitgliedsstaaten zustimmen, damit die Vereinbarung am 27. Oktober beim EU-Kanada-Gipfel in Brüssel unterzeichnet werden kann. Doch der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette (PS) kündigte an, dafür werde die Zeit nicht mehr reichen. Es müssten noch zu viele Probleme aus dem Weg geräumt werden. Die Föderalregierung braucht aber die Zustimmung aller Teilstaaten, um Ceta unterschreiben zu können. Premierminister Charles Michel (MR) befürchtet durch den Widerstand „schweren Schaden“ für Belgien. Auch aus Flandern, das dem Freihandelsabkommen bereits zugestimmt hat, gab es heftige Kritik. Vorwürfe, aber auch Lob für die Haltung gibt es auch in den Zeitungen. „Der halsstarrige Widerstand der Wallonen gegen den europäisch-kanadischen Handelsvertrag lehrt uns, dass es außer zu wenig Demokratie auch zu viel Demokratie geben kann. … Das französischsprachige Belgien ist in der Europäischen Union mehr denn je isoliert“, schreibt die flämische Wirtschaftszeitung „De Tijd“ am Mittwoch und fügt hinzu: „Die Argumente der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sind relevant. Wenn es ein Land in der Welt gibt, dass in Bezug auf Mehrsprachigkeit, Sozialstaat und Grundwerte der Europäischen Union ähnelt, dann ist es Kanada. Dies ist nicht China oder Russland, auch nicht die USA. Angesichts dessen ist es nicht übertrieben, wenn dieser Handelsvertrag als ein entscheidender Test für das Ausmaß gesehen wird, in dem die EU noch in der Lage ist, eine Politik für internationalen Handel durchzusetzen und ihren Platz auf der Weltbühne zu behaupten.“

Die frankofone Tageszeitung „La Libre Belgique“ äußert sich nuancierter: Sollte der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette es wirklich schaffen, mit seinem Widerstand einen besseren Vertrag für Europa zu erzielen, müsse man den Hut ziehen, denkt das Blatt und fordert mehr Sachlichkeit in der Debatte. „Gegner des Abkommens werden als fundamentalistische Bekämpfer des Freihandels karikiert, während man Befürwortern vorwirft, internationalen Großkonzernen in den Hintern zu kriechen und in Europa Alles zulassen zu wollen – vom Chlorhuhn über Hormonfleisch bis hin zu anderen Abscheulichkeiten.“ Die Brüsseler Tageszeitung „Le Soir“ fragt sich, ob die Argumente der Wallonie, die für das Nein zu Ceta herangezogen werden, richtig sind: „Darüber kann man lange streiten. Eins kann man ihr aber nicht vorwerfen: Sie hat sich nicht grob fahrlässig verhalten, sondern sich Respekt verschafft – gegen den mächtigen EU-Bulldozer. Das erfordert zumindest Respekt und könnte vielleicht auch andere politische Autoritäten inspirieren.“

Der linksliberale flämische Zeitung „De Morgen“ nimmt die Parlamentarier aus dem frankofonen Landesteil in Schutz, auch wenn nicht jeder Kritikpunkt an Ceta begründet sei: „Man kann sehr viel sagen über die Wallonen, aber offensichtlich schaffen sie es, eine parlamentarische Debatte zu diesem Thema zu führen, das ja für die Befürworter von Ceta entscheidend ist für unseren Wohlstand. Das können die ‚autonomen‘ Flamen nicht sagen. Hier zeigte man sich gefügig und gab der Regierung die Vollmacht.“

Aber auch international wird das Thema aufgegriffen, wie ein Blick in die Presselandschaft zeigt. Das österreichische Blatt „Der Standard“ schreibt am zu dem Thema Mittwoch: „Auf Erfolg sind die Europäer nicht gebucht. Sie verhandeln sieben Jahre lang einen Vertrag und bringen das dann intern nicht und nicht zu Ende. (…) Europa verliert an Glaubwürdigkeit. Man sollte aber nicht übersehen, dass in dieser Union der tausend Widersprüche Einwände zu Ceta gehört und spezielle Wünsche berücksichtigt werden, sogar von Miniregionen wie der abgewirtschafteten Wallonie. That’s Europe! Schwer zu verstehen, aber damit müssen Kanada und die USA leben.“ (sc/dpa)