Dagur Sigurdsson: „Sonst riskiert man ein Burnout“

Guillaume Gille spricht von „schlimmsten Zeiten“, Dagur Sigurdsson sieht die Gefahr eines „Burnouts“: Durch den straffen WM-Plan sind die enormen Belastungen im Handball wieder in den Blickpunkt gerückt. Zwei Spiele innerhalb von 24 Stunden sind keine Ausnahme - sehr zum Leidwesen von Spielern und Trainern.

„Wir sind zu den schlimmsten Zeiten des Sports zurückgekommen“, sagte Frankreichs Nationalcoach Guillaume Gille vor dem Prestige-Duell gegen Deutschland. Der langjährige Bundesligaprofi hat kein Verständnis mehr für die Terminhatz in seiner Sportart. „Fünf Spiele in sieben Tagen - das gehört nicht mehr in den modernen Handball.“ Der kommende Weltmeister wird am Ende des kräftezehrenden Turniers in Deutschland und Dänemark zehn Spiele in den Knochen haben. Gille steht mit seiner Meinung nicht allein da. Auch Ex-Bundestrainer Dagur Sigurdsson, bei der WM als Auswahlcoach Japans dabei, sieht die Spitzenkräfte im Handball überbelastet. „Es betrifft zwar nur 50 bis 80 Spieler, aber das sind die Spieler, die unseren Sport repräsentieren, die in der Öffentlichkeit für ihn stehen. Man muss an die denken, sonst riskiert man einen Burnout“, sagte der Isländer.

Zum Vergleich: Bei der Fußball-WM in Russland haben die Mannschaften im Schnitt alle vier Tage ein Spiel bestritten. Ein Traum für die Handballer, der unerfüllt bleiben wird. Denn statt seitens der Verbände gegenzusteuern, wird es künftig noch schlimmer. Durch die EM-Aufstockung von 16 auf 24 Teams kommt der Europameister im kommenden Jahr, einem Turnier, das wegen der Austragung in Schweden, Norwegen und Österreich ohnehin von zusätzlichen Reisestrapazen erschwert wird, am Ende auf neun statt acht Spiele. Die nächste WM 2021 in Ägypten findet erstmals mit 32 statt 24 Teilnehmern statt.

Schon jetzt ist die Grenze erreicht. Liga, Pokal, Europacup, dazu jede Saison eine Welt- oder Europameisterschaft und alle vier Jahre Olympische Spiele - ein Mammutprogramm. Auf bis zu 80 Spiele kommen die Topspieler der Branche, selbst zwischen Weihnachten und Neujahr sind Partien angesetzt.

„Wenn Mediziner frei walten könnten, dann wäre aus medizinischer Sicht ein Spiel alle vier Tage sinnvoller“, sagte der deutsche Teamarzt Prof. Dr. Kurt Steuer. Ihm kommt bei der Regeneration der deutschen Nationalspieler eine Schlüsselrolle zu. Steuers mineralstoffhaltiger Erdbeer-Smoothie erfreut sich nach den WM-Spielen in Berlin größter Beliebtheit.

Ansonsten vertrauen Andreas Wolff und Co. im Kampf gegen die Belastung auf Eisbad, Ergometer, Sauna. Aber nicht alles ist gut für die Gesundheit. „Es gibt viele Spieler, die sich mal ein Schmerzmittel reinhauen“, gab Uwe Gensheimer kürzlich im Spiegel zu.

„Unsere Physios schieben nach Spielen oft Nachtschichten“, sagt Gensheimer. Bei ihm selbst seien die Sprunggelenke „im Arsch“, sie muss er vor jedem Spiel tapen. Und Gensheimer wechselte zu Paris Saint-Germain nach Frankreich, wo die Belastungen weniger hoch sind. Für die seit Jahren überbeanspruchten Profis gibt es aber einen Hoffnungsschimmer, zumindest einen kleinen. Für die Saison 2020/21 existiert der Plan, die Juni-Länderspielwoche vorzuziehen. Weniger Spiele gibt es dann zwar nicht, aber eine längere Sommerpause. Immerhin. (sid)