Noch genau vier Jahre: Katar plant eine große WM



Es fällt schwer, sich an diesem November-Abend rauschende Fußballfeste in Katar vorzustellen, mit den Ronaldos, Messis und Neymars dieser Welt, die vor begeisterten Massen spielen. Im kleinen Stadion des Clubs Al-Ahli aus der Hauptstadt Doha kickt die Heimelf gegen das Team Al-Rajjan. Auf den leeren Tribünen verlieren sich 200, vielleicht 300 Fans. Als der Gastgeber ein Tor erzielt, wird Jubel über Lautsprecher eingespielt. Alltag in Katars erster Liga.

Rund 1,5 Millionen Fans sollen nach Katar strömen.

In vier Jahren soll in dem Emirat am Golf um den WM-Titel gespielt werden. Am 21. November 2022 – so der Plan – ertönt im nagelneuen Lusail-Stadion vor mehr als 80.000 Zuschauern in diesem kleinen Land der Anpfiff zu einem der größten Sportereignisse der Welt. Rund 1,5 Millionen Fans sollen nach Katar strömen.

In der langen WM-Geschichte wird es ein Turnier sein, wie es die Fußball-Anhänger in vielerlei Hinsicht noch nicht erlebt haben: das erste in der arabischen Welt, das erste in einem muslimischen Land, das erste im europäischen Winter. Und das erste, das mehr oder weniger in nur einer Stadt ausgetragen wird. Acht Stadien – davon sieben komplett neu gebaut – sollen bis 2022 fertig sein. Bis auf eins stehen alle in Doha oder in unmittelbarer Nachbarschaft. Die WM wird für Spieler und Funktionäre, vor allem aber für die Fans ein Experiment.

Tarik Kamhawi, ein groß gewachsener Mann, sieht das Turnier manchmal schon vor Augen. In dicken Stiefeln stapft er nach einem Regen durch den Matsch einer Baustelle am alten Hafen Dohas, Maschinen rattern. Drüben, auf der anderen Seite der Bucht, glitzern Wolkenkratzer des Hochhaus-Viertels. Dann bleibt Kamhawi auf dem durchweichten Boden stehen: „Hier ist das Spielfeld“, sagt der Baustellen-Manager und schwärmt: „Stell dir das vor. Dieses Stadium mit dieser Aussicht!“

Wo jetzt noch Bauarbeiter um ihn herum ein Fundament legen, soll in den nächsten zwei Jahren das Stadion Ras Abu Abud wachsen, auf das die Organisatoren besonders stolz sind. Es besteht größtenteils aus Schiffscontainern und Stahl und soll nach der WM abmontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. „Das ist wie bei Lego“, sagt Kamhawi.

Mit solchen Konzepten versuchen die Katarer, Skeptiker davon zu überzeugen, dass sie die WM trotz aller Korruptionsvorwürfe zu Recht gewonnen haben. Nachhaltig soll das Turnier sein, klimaneutral und ganz im Sinne der Fans. So verweisen die Organisatoren auf die kurzen Wege: Das am weitesten entfernte Stadion liegt knapp 50 Kilometer nördlich von Doha. Alle Spielorte lassen sich mit der neu gebauten Metro oder mit Bussen und einem kurzen Fußmarsch erreichen.

23 Milliarden US-Dollar lassen sich die Katarer die WM kosten.

Die Kapazität mehrerer Stadien wird nach dem Turnier auf rund 20.000 Plätze halbiert, die abgebauten Tribünen sollen in Entwicklungsländer gehen. Trotzdem bleibt die Frage: Was passiert in Katar, einem Emirat mit etwa 2,7 Millionen Menschen, aber nur rund 300.000 Einheimischen, mit sieben Hochglanzstadien? Ligaspiele vor wenigen Hundert Zuschauern?

Die Katarer lassen sich die WM nach eigenen Angaben 23 Milliarden US-Dollar kosten, das bislang teuerste Turnier. Sie sehen es als Baustein einer Modernisierung des Landes, die sich in rasantem Tempo vollzieht. Doha gleicht in vielen Gebieten einer Großbaustelle. Das Emirat will mehr sein als nur der Wüstenstaat mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen.

Auch für die Nationalmannschaft tickt die Uhr: Die Hoffnungen, die in Akram Afif und seine Mitspieler gesetzt werden, sind riesig. Unter anderem über die AS Eupen wurden katarische Nationalspieler geformt und aus Sicht ihrer Heimat zu besseren Spieler gemacht. Unter dem spanischen Trainer Félix Sánchez zeigte die Formkurve zuletzt nach oben: 1:0 gegen die Schweiz und 2:2 gegen Island – und das mit einem spanisch angehauchten Fußball.

Die WM wird aber alles Bisherige sprengen, schon allein wegen der großen Zahl der Gäste. Tilman Engel, der mit seiner Firma SBC International Consulting seit Jahren in Katar als Sport-Berater tätig ist, zweifelt etwa, dass nach der jetzigen Planung genug Unterkünfte für den FIFA-Tross und Fans zur Verfügung stehen. Die Ausrichter aber versichern: Es werde ausreichend Zimmer für alle geben. In Hotels, auf mehreren Kreuzfahrtschiffen im Hafen und in Zeltlagern, die in der Wüste aufgebaut werden sollen – inklusive Lagerfeuerromantik.

Doch die Vorbereitungen laufen unter verschärften Bedingungen, seit Saudi-Arabien und andere Nachbarn im vergangenen Jahr eine Blockade gegen Katar verhängt haben. Weil Materialien wie etwa Zement nicht mehr von dort geliefert wurden, kam es auf vielen Baustellen zu Verzögerungen. In einem Stadion lägen Arbeiten ein halbes Jahr hinter dem Zeitplan, berichtet der Mitarbeiter einer internationalen Firma. Trotzdem glaubt er, dass alle Spielstätten rechtzeitig vor der WM fertig sein werden – der Zeitplan biete ausreichend Puffer.

Das Kafala-System ist noch weitgehend intakt

Auch für die Katarer ist die WM ein Experiment. Viele im Land waren geschockt, als international die Kritik an der Ausbeutung von ausländischen Arbeitern über das Emirat hereinbrach. Mittlerweile hat die Regierung einige Reformen beschlossen. Arbeiter brauchen seit Kurzem nicht mehr die Erlaubnis ihres Arbeitgebers, um auszureisen. Doch Menschenrechtlern reicht das nicht aus. „Das Kafala-System ist noch weitgehend intakt“, sagt Hiba Zayadin von Human Rights Watch. Es bindet die Arbeiter an ihren katarischen Sponsor – so dass sie etwa praktisch nicht den Arbeitgeber wechseln können.

Wie eine dunkle Wolken hängt auch der Wunsch von FIFA-Präsident Gianni Infantino über den Vorbereitungen, die WM schon 2022 von 32 auf 48 Teams auszudehnen – für das Emirat allein unmöglich. „Das kann Katar nicht stemmen“, sagt Berater Engel. „Dann müssen auch Spiele in Nachbarländern stattfinden.“ Das aber scheint angesichts der Blockade und der verhärteten Fronten derzeit ausgeschlossen. Und überhaupt, meint Engel: „Wer will schon Spiele in Saudi-Arabien sehen?“ (dpa/mn)