Kommentar: Doppelmoral

Vier WM-Titel und 45 Rennen gewinnt man nicht ohne Talent, Disziplin, Ehrgeiz, Biss und schlicht Klasse. Doch Vettel, der so locker aufgelegt sein kann, hat auch eine explosive Seite – und eine extrem kurze Zündschnur. Seine zahllosen Entgleisungen im Boxenfunk oder seine abfälligen Gesten gegenüber Kontrahenten, die sich nicht nach dem Gusto des Hessen verhalten, kann man mit einigem Wohlwollen noch irgendwie als Kavaliersdelikte abtun.

Mit seiner Aktion gegenüber seinem WM-Rivalen Lewis Hamilton hat Vettel aber nun mit Macht sein eigenes Denkmal beschädigt. Wer sich selbst zum Richter über andere erhebt und in einem Hochgeschwindigkeitssport sein Auto als Rammbock einsetzt, muss offensichtliche eigene Fehler zumindest mit einigem Abstand auch einräumen können.

Aus Wut über die verlangsamte Fahrt eines Gegners, der laut Telemetrieanalysen hinter dem Safety Car nichts falsch gemacht hat, neben diesen zu fahren, ihn zu beschimpfen, ihn dann zu rammen und anschließend noch die Deutungshoheit für sich zu beanspruchen, ist schlicht eines viermaligen Weltmeisters unwürdig.

Vettels beständige Kritik an anderen und die fehlende Bereitschaft, einfach auch mal mit dem Finger auf sich selbst zu zeigen, offenbaren jedenfalls eine bemerkenswerte Doppelmoral. (sid)