Medienforscher: „Wer zahlt, möchte wissen wofür“

Medienforscher Prof. Thomas Breyer-Mayländer über zahlungspflichtige Online-Inhalte von Zeitungen: „Die Kunst besteht darin, ein Paket anzubieten, das den Usern einen tatsächlich rational und emotional bewertbaren Nutzen bietet.“ | privat

Herr Prof. Breyer-Mayländer, das GrenzEcho verlangt künftig Geld für journalistische Online-Inhalte. Ist dieser Schritt voreilig, überfällig oder einfach zeitgemäß?

Dieser Schritt ist sicherlich absolut zeitgemäß. Der Großteil der ernsthaft journalistisch aktiven Zeitungen und Magazine hat dies für die eigenen Digitalprodukte bereits entweder geprüft oder umgesetzt. Es ist aus meiner Sicht aber kein längst überfälliger Schritt, da man als kleineres Medium durchaus zuerst den Markt beobachten sollte, damit man aus den Erfahrungen der Kollegen lernen kann.

„Die Zeitungsbranche hat den Vorteil, dass sie früher als andere Branchen sich mit der Digitalisierung auseinandersetzen musste.“

Die User waren es bisher gewohnt, alle Digitalinhalte des GrenzEchos kostenlos lesen zu können. Wie schwierig ist es aus Ihrer Sicht, ein Umdenken auf der Kundenseite einzuleiten?

Es ist sicher nicht einfach, da es ja auf Kundenseite nicht mit einem wirklich rationalen Umdenken getan ist. Die Kunst besteht darin, ein Paket anzubieten, das den Usern einen tatsächlich rational und emotional bewertbaren Nutzen bietet. Es muss gelingen, die dafür anfallenden Kosten im Kontext der Gesamtausgaben für Medien, Information und Unterhaltung beim Kunden als fairen Preis zu hinterlegen.

Praktisch alle Zeitungen haben jahrelang für ihr Printprodukt Geld verlangt und im Netz alles kostenlos rausgehauen. Haben die Medienhäuser damit selber diese Kostenlos-Mentalität geschürt, die sie nun verteufeln?

Das ist sicherlich ein Thema, wenn es um die Gewohnheiten von Nutzern geht. Der Ansatz der Verlage war ja der Wunsch, die Dienste entweder komplett über das Werbegeschäft zu finanzieren, wie wir das ja aus dem Free-TV kennen, oder die Nutzer so an die Dienste zu gewöhnen, dass man anschließend in einem – wie auch immer gearteten – „Upselling“ kostenpflichtige Zusatzangebote platzieren kann. Da man oft genug auch die digitalen Angebote noch sehr stiefmütterlich behandelt hatte – der jüngste Redakteur stellt am Abend eben noch was online… – , war in vielen Fällen jedoch die Wertigkeit der Angebote nicht ausreichend erkennbar, und man landete in der Rubrik „sonstige kostenlose Angebote“.

Die Auflagen der Zeitungen gehen im Allgemeinen seit 20 Jahren zurück. Gleichzeitig wird versucht, die dadurch sinkenden Erlöse durch Mehreinnahmen bei der Vermarktung der digitalen Inhalte zu kompensieren. In welchem Stadium befindet sich die Branche in dieser Langzeitentwicklung?

Die Zeitungsbranche hat den Vorteil, dass sie sich früher als andere Branchen mit der Digitalisierung auseinandersetzen musste. Das bedeutet aber auch, dass Probleme, die andere Branchen (Finanzsektor, Autoindustrie etc.) in ein paar Jahren treffen werden, hier schon sichtbar sind. Das Wichtigste für die Verlage ist eine konsequente Analyse der Geschäftsmodelle. Welches Problem meiner Kunden löse ich mit meinen Produkten? Welchen Nutzen stiften diese Produkte jetzt und in Zukunft? Wer hat an diesen Lösungen Interesse, und was wird dafür bezahlt werden? Verlage hatten früher eher den Ansatz: Wir haben als Produkt unsere Zeitung und überlegen uns, wer sie denn noch (zusätzlich) kaufen sollte. Dieses „Inside out“ Denken kann nur sehr eingeschränkt funktionieren. Entscheidend ist bei allen Verlagen, die im Moment bei digitalen Produkten diversifizieren, die Frage: Wo liegt der Nutzen und kann ich diesen Nutzen exklusiv bieten? Dass bei einem digitalen Transformationsprozess die alten Geschäftsmodelle an Wert verlieren, ist nachvollziehbar. Kleinere Verlage haben es hier ökonomisch besonders schwer, da die neuen Produkte in der Regel nicht skalierbar sind, sondern eine enge regionale bzw. lokale Nische bedienen und man deshalb mehr Anstrengungen für viele kleine Umsatzanteile unternehmen muss.

Ändert sich mit der Einführung einer Bezahlschranke bzw. Paywall schlagartig die Anspruchshaltung der dann zahlenden User, was die Qualität der digitalen Inhalte angeht?

Generell möchte ein Kunde, wenn er bezahlt, wissen wofür und sich auf die Qualität verlassen können. Bei redaktionellen Inhalten kommt hier noch das Problem dazu, dass ich mich als zahlender Leser eventuell auch über den einen oder anderen Artikel ärgern werde – und das, obwohl ich ihn ja bezahlt habe. Aber die Zeitungshäuser haben mit diesem Thema ja jahrzehntelange Erfahrung aus dem Print-Geschäft, und das lässt sich auch als positive Erfahrung bei den neuen Geschäftsfeldern nutzen. Qualität ist letztlich in diesem Kontext die Erfüllung oder Übererfüllung von Kundenerwartungen. Die Premium-Inhalte müssen in diesem Sinne eben den Kundenerwartungen für den Begriff „Premium“ entsprechen was Richtigkeit, Aktualität, Exklusivität, Hintergründigkeit etc. betrifft.

Gibt es bei der Vermarktung von Online-Inhalten aus Ihrer Erfahrung Unterschiede in puncto Ausgangslage und Umsetzung zwischen kleinen und großen Zeitungen?

Ich würde hier nicht unbedingt zwischen großen und kleinen Zeitungen unterscheiden wollen, das ist eigentlich ein zu enger Blickwinkel. Es ist für mich eher die Frage, ob skalierbare Geschäftsmodelle möglich sind oder nicht. Denken Sie daran, mit wie wenig Mitarbeitern ein globales Angebot wie WhatsApp betrieben wird. Die begrenzten Ressourcen kleiner Verlage können unter Umständen durch große Kundennähe und Exklusivität wieder wettgemacht werden. In diese Märkte drängt auch so schnell kein großer Wettbewerber rein. Größere Regionalverlage leiden hier bereits manchmal an dem Problem, dass sie die große Kundennähe und Exklusivität nicht mehr hinbekommen, für eine nationale oder internationale Skalierung aber zu wenig Markenbedeutung haben.

„Der Großteil der ernsthaft journalistisch aktiven Zeitungen und Magazine hat dies für die eigenen Digitalprodukte bereits entweder geprüft oder umgesetzt.“

Eine Bezahlschranke führt zwangsläufig dazu, dass die Reichweite, die eine Zeitung mit ihren Online-Inhalten erzielt, in einer ersten Phase sinkt. Welche Probleme ergeben sich daraus?

Das ist ja die Kunst, den Rückgang der Reichweite und den damit verbundenen Rückgang von Werbeumsatz im Verhältnis zu den Erlös-Chancen in Einklang zu bringen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für eine Zeitung und ihre digitalen Produkte die Frage der „publizistischen Relevanz“. Wenn es für Menschen in Eupen, die sich mit lokalen Themen befassen, die informiert in ihrer sozialen Umgebung erscheinen wollen, nicht mehr relevant wäre, Produkte des GrenzEchos zu nutzen, da die Nachbarn und Kollegen die Produkte und Themen auch nicht kennen, wäre das beispielsweise ein Problem. Daher ist es eines der Ziele der lokalen und regionalen Medienhäuser, über die Vielfalt der Produkte auch weiterhin dafür zu sorgen, dass diejenigen, die aktiv sich in die Gesellschaft einbringen, auch die Produkte nutzen.

Zur Person

Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer ist seit 2001 Professor für Medienmanagement an der Hochschule Offenburg. Er war zuvor beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) beschäftigt und Geschäftsführer der Zeitungs Marketing Gesellschaft, Frankfurt.

Er ist Autor zahlreicher Fachbücher zur Medienwirtschaft und analysiert seit Jahren die digitalen Veränderungsprozesse des Zeitungswesens und anderer Branchen.

Im November erscheint hierzu im Hanser Verlag München eine umfassende Analyse: „Management 4.0 – den digitalen Wandel erfolgreich meistern“.