Hamburger Elbphilharmonie: Vom Skandal zum Wahrzeichen


Am besten nähert man sich der Elbphilharmonie mit dem Schiff. Von einer Barkasse oder einer Elbfähre aus erscheint die Fassade der „Gläsernen Welle“ immer wieder anders, je nachdem, wie sich das Licht und der Himmel in den markant gebogenen Fensterflächen spiegeln: mal dunkel und bedrohlich, wenn graue Wolken über dem Hafen aufziehen, mal glitzernd und golden, wenn sich die Sonnenstrahlen in den Glaselementen des 110 Meter hohen Gebäudes spiegeln. Die einzigartige Lage des Konzerthauses auf einer Landzunge am Eingang der Hafencity – unten historischer Backstein, oben der moderne Glaswürfel -, von drei Seiten von Wasser umgeben, soll die Architekten an die Inselkirche San Giorgio in Venedig erinnert haben. Auch am Eingang der Lagunenstadt wird man mit einem spektakulären Blick auf die Stadtsilhouette begrüßt.

Am Mittwoch ist es so weit: Die Elbphilharmonie, schon jetzt das neue Wahrzeichen der Hansestadt, wird mit einem Konzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters eröffnet. Das spektakuläre Gebäude aus Glas der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron soll Hamburg in die Liga der zehn besten Konzerthäuser der Welt katapultieren. Nach fast zehn Jahren Bauzeit und einer Kostenexplosion hatte sich die „Elphi“ im Laufe der Zeit von einem Vorzeigeprojekt in einen Alptraum verwandelt.

Doch spätestens seit 2013 die Neuordnung des Projekts die Elbphilharmonie aus den Negativschlagzeilen herausgeholt hat, steigt die Vorfreude. Zum dreiwöchigen Eröffnungsfestival hat sich das „Who is Who“ der Klassikszene angekündigt. Für Christoph Lieben-Seutter, seit 2007 Generalintendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle, hat sich das Blatt gewendet: „Jahrelang war die Elbphilharmonie das Problemkind der Stadt und wir konnten uns vor schlechten Schlagzeilen gar nicht schützen. Jetzt, wo wir kurz vor der Vollendung sind, ist in der Stadt die Begeisterung wieder absolut zu spüren. Und die Kosten sind erstaunlicherweise schon jetzt kaum noch ein Thema“, meint der Österreicher, der zuvor das Konzerthaus in Wien geleitet hat.

Schon drei Mal, 2010, 2012 und jetzt 2017, hat der 52-Jährige die Eröffnung geplant. Spätestens seit am 4. November die Bilder vom Konzertsaal und der Eröffnung der öffentlichen Plaza in 37 Metern Höhe um die Welt gingen, ist die Elbphilharmonie in aller Munde. Aber wie konnte aus dem Prestigeprojekt ein Pleiten-, Pech- und Pannenbau werden? Angefangen hat alles mit einer spektakulären Idee. Die hatte der Hamburger Architekt Alexander Gérard. Bereits in den 1990er Jahren hatte er gefordert, an dieser exponierten Stelle in der neu entstehenden Hafencity einen kulturellen Anziehungspunkt zu schaffen. Zunächst stößt er auf Unverständnis, aber als er seine Studienkollegen Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit ins Boot holt, wendet sich das Blatt: Als er im Juni 2003 die Entwürfe einer „Gläsernen Welle“ der Schweizer Architekten präsentiert, ist der Jubel groß. Zunächst soll das neue Konzerthaus die Stadt noch nicht einmal etwas kosten: Finanziert werden soll der Saal von einem Investor aus den Gewinnen des Hotels und der Wohnungen, die er auf dem städtischen Grundstück baut.

Ende 2006 werden die Verträge zwischen der Stadt, den Architekten Herzog & de Meuron und dem Bauunternehmen Hochtief unterzeichnet, wenig später wird auch die Hamburger Bürgerschaft dem Projekt einstimmig zustimmen. Obwohl die Kosten für das Konzerthaus auf 241 Millionen Euro gestiegen sind, 114 Millionen Euro sollen davon die Steuerzahler tragen. Im Jahr 2010 soll das Konzerthaus eröffnet werden. Bei der Grundsteinlegung am 2. April 2007 gibt es nur strahlende Gesichter.

Doch schon bald stellt sich heraus: Nichts war bei der Elbphilharmonie fertig durchdacht: Pläne, Termine und bauliche Umsetzung passten nicht zusammen. Das größte Problem neben der frühen Ausschreibung und den unfertigen Planungen war das komplizierte Dreiecksverhältnis zwischen der städtischen Realisierungsgesellschaft (Rege), den Architekten und dem Bauunternehmen Hochtief. Die Architekten Herzog & de Meuron und Hochtief redeten nicht direkt miteinander – wie sonst üblich auf Baustellen – sondern verhandelten ausschließlich mit der Stadt – die damit hoffnungslos überfordert war. Das Ergebnis: Explodierende Kosten und Bauverzögerungen, die immer dramatischere Ausmaße annahmen. Beim Richtfest am 28. Mai 2010 ist Ernüchterung eingekehrt: Die öffentlichen Ausgaben sind mittlerweile um das Dreifache auf 323 Millionen Euro gestiegen, Fertigstellungstermin ist nun 2013. Das Wort vom „Millionengrab“ macht die Runde.

Doch wer ist Schuld an dem Desaster? Zwei Parlamentarische Untersuchungsausschüsse kommen zu einem Ergebnis: Ursache sind demnach eine viel zu frühe Ausschreibung, zu wenig Kontrolle und Überforderung vonseiten der Politik sowie ein chaotisches Nebeneinander von Baukonzern und Architekten. Doch die Verantwortlichen weisen alle Schuld von sich. Bald geht nichts mehr auf Deutschlands berühmtester Kulturbaustelle: Ende 2011 weigert sich Hochtief, das Dach des Großen Konzertsaals abzusenken, und stellt die Bauarbeiten komplett ein.

Es folgt eine Machtprobe mit dem neuen Senat, mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) an der Spitze, der „keine Spielchen mehr“ von Hochtief fordert. Erst als die Stadt droht, die Elbphilharmonie alleine zu Ende zu bauen, gibt es wieder Bewegung: Am Ende einigen sich Scholz und der neue Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes auf eine Neuordnung des Projekts. Die fatale Dreiecksbeziehung wird aufgelöst, die Stadt zieht sich zurück, und Hochtief baut die Elbphilharmonie für erneut 200 Millionen Euro Nachschlag auf eigenes Risiko zu Ende. Eine teure Lösung, die die Steuerzahler insgesamt 789 Millionen Euro kosten wird.

Aber warum entwickelte sich die Vorzeigeprojekt Elbphilharmonie zum finanziellen Desaster? Neben den vertrackten Verhältnissen auf der Baustelle spielte auch die architektonische Einzigartigkeit des Gebäudes eine entscheidende Rolle – schließlich wollte man kein Gebäude von der Stange, sondern Architektur von Weltrang. Der große Konzertsaal mit Platz für 2.100 Besucher ist nach dem Weinberg-Prinzip gebaut, mit einer Bühne in der Mitte, die von terrassenförmigen Publikumsrängen umgeben ist. Aus Schallschutzgründen wurde der 12.500 Tonnen schwere Saal komplett vom restlichen Gebäude entkoppelt und ruht auf 362 Stahlfederpaketen. Auch die spektakuläre Glasfassade mit ihren 1.096 Fensterelementen ist einzigartig. Ebenfalls noch nie gebaut wurde die „Tube“, die 82 Meter lange Rolltreppe, die die Besucher auf die öffentliche Plaza in 37 Metern Höhe führt. (dpa)