Die verlorenen Kinder des Südsudan

Die 17-jährige Christine aus dem Südsudan mit ihren Schwestern neben ihrer Hütte in der Imvepi-Flüchtlingssiedlung in Uganda. | Gioia Forster/dpa

„Sie wollen uns umbringen“, sagt Christine. Doch die 17-jährige Südsudanesin und ihre Schwestern hatten Glück, sie waren jeweils nicht in ihrer Hütte. Nüchtern schildert Christine ihre Geschichte, ihr rundes Gesicht ist regungslos. Warum die Männer sie töten wollen? Das wisse sie nicht. Nachdem die Mädchen den Leitern der Flüchtlingssiedlung Imvepi die Vorfälle gemeldet hatten, wurden sie umgesiedelt. Ihr neues Zuhause ist ein Zelt direkt neben den Hütten der Polizisten – der sicherste Ort hier.

Christine und ihre Schwestern leben mit etwa 123.000 weiteren Südsudanesen in der Flüchtlingssiedlung, die im Nordwesten Ugandas innerhalb weniger Monaten aus dem Boden gestampft wurde. Tausende Hütten aus einfachen Holzrahmen und weißen Plastikplanen stehen in der sattgrünen Landschaft verstreut. Dazwischen sind viele Gemüsegärten oder kleine Maisfelder angebaut. Rund vier Millionen Menschen insgesamt sind vor der Gewalt im Südsudan geflohen – es ist die größte Flüchtlingskrise Afrikas. Die Vereinten Nationen (UN) nennen den seit fast vier Jahren wütenden Bürgerkrieg „nicht weniger als ein Krieg gegen ihre Kinder“. Demnach sind rund 60 Prozent der Flüchtlinge minderjährig.

Der Konflikt im Südsudan ist Christine ins Nachbarland Uganda gefolgt, wo bereits mehr als eine Million Südsudanesen Zuflucht gesucht haben. „Ihr Vater und Bruder waren im Militär“, erklärt Albert Enzama Albario von der Hilfsorganisation Save the Children. Er betreut die vier Mädchen, er kennt Christines Geschichte. Vater und Bruder wurden demnach im Bürgerkrieg getötet. Die Mädchen seien alleine nach Uganda geflohen. Die Männer, die Christine und ihre Schwestern nun in der Flüchtlingssiedlung aufsuchen, behaupten, der Bruder habe ihre Familienmitglieder umgebracht, wie Albario sagt. Zwischen 50.000 und 60.000 Kinder sind nach UN-Angaben wie Christine ohne eine erwachsene Begleitperson über die Grenze nach Uganda geflohen. Einige haben ihre Eltern verloren, andere wurden im Chaos des Kriegs von ihnen getrennt. In Uganda versucht die Organisation World Vision die Kinder bei Pflegeeltern unterzubringen, die selbst Flüchtlinge sind. Für mehr als 1.300 Kinder wurde so bereits in zwei Flüchtlingssiedlungen in Uganda ein vorübergehendes Zuhause gefunden.

Eines dieser Kinder ist Peter Yat. „Als wir erfahren haben, dass unsere Eltern tot waren, hatten wir alle Hoffnung verloren“, erzählt der 13-Jährige. Er sitzt neben seinem Pflegevater vor einem Zelt in Imvepi. Nervös kratzt er an der Lehne seines Stuhls, Augenkontakt vermeidet er. Er erzählt, wie seine Eltern eines Tages auf ihrem Feld im Südsudan getötet wurden. „Ich wusste nicht, wie wir ohne unsere Eltern leben sollten.“ Nach Wochen, in denen die drei Brüder bei einem Nachbarn gewohnt haben, hörten sie von der Möglichkeit, nach Uganda zu fliehen. Dann machten sie sich auf den Weg.

„Sie waren ganz alleine unterwegs undhatten kein Wasser.“

Pflegevater Manuel Lukudu hat die drei Jungs bereits auf der Flucht kennengelernt. „Sie waren ganz alleine unterwegs und hatten kein Wasser“, berichtet der 37-Jährige. Als sie in Imvepi ankamen, erklärte er sich bereit, sie aufzunehmen – obwohl er und seine Frau zwei eigene Kinder haben und sich obendrein um zwei weitere Kinder von Verwandten kümmern. Sie leben in einer einfachen Behausung: eine etwa 20 Quadratmeter große Hütte für die Pflegefamilie, daneben eine zweite Hütte für die Pflegekinder, gebaut von der Organisation Care. Einfach ist die Unterbringung bei Pflegefamilien nicht. „Oft sind die Kinder traumatisiert“, sagt Evelyn Atim von World Vision. Die passenden Familien zu finden sei in schwer: Religion und Sprache müssten stimmen, es dürfe weder Anzeichen von häuslicher Gewalt noch Ausbeutung geben. Und für die Pflegefamilien ist es auch eine große Belastung, psychisch und finanziell. Denn abgesehen von einem zweiten Zelt und Essensrationen bekommt eine Pflegefamilie keine zusätzliche Hilfe, wie Atim sagt. „Ich musste ein Teil der Essensrationen verkaufen, um für die Kinder Schuhe zu kaufen“, sagt Lukudu.

Einige wenige elternlose Kinder in den Flüchtlingssiedlungen haben Glück und finden in Uganda ihre Familien wieder. Seitdem Imvepi im Februar eröffnet wurde, konnte das Rote Kreuz nach eigenen Angaben Verwandte von etwa 43 Kindern ausfindig machen und die Familien vereinen – immerhin. Für junge Südsudanesen wie Christine, deren Familien getötet wurden, gibt es in dieser Hinsicht keine Hoffnung. „Wir vermissen unsere Eltern“, sagt die 17-Jährige. Sie und ihre Schwestern müssen sich alleine ein neues Leben im Exil aufbauen. (dpa)