Schuldnerberater sieht problematische Entwicklung in Ostbelgien

Wenn die Geldbörse leer ist: „Ich stelle fest, dass immer mehr überschuldete Leute zu uns kommen, die über keinen Saldo verfügen. Das heißt, dass deren Einkünfte so gering sind, dass am Ende des Monats nichts mehr übrig bleibt“, sagt Schuldnerberater Mario Leyens von der Verbraucherschutzzentrale in Ostbelgien. Illustration: dpa | 4

Mario Leyens ist seit 16 Jahren Schuldnerberater bei der Verbraucherschutzzentrale. Er beantwortet Fragen zu dieser Entwicklung.

Die Aktenlage in der Schuldnerberatung sinkt, während die juristischen Beratungen steigen. Wie kommt das?

Das stimmt effektiv. Vor allem die Zahlen der juristischen Beratungen sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Ich stelle fest, dass immer mehr überschuldete Leute zu uns kommen, die über keinen Saldo verfügen. Das heißt, dass deren Einkünfte so gering sind, dass am Ende des Monats nichts mehr übrig bleibt.

Mit welchen Konsequenzen ist das verbunden?

Das Problem ist, dass man keinen Rückzahlungsplan machen kann. Auch eine kollektive Schuldenregelung ist nicht möglich, weil eben kein Saldo da ist und es auch keinen Sinn machen würde. Eine solche Akte würde nach zwei oder drei Jahren hier beim Arbeitsgericht als gescheitert eingestellt. Das würde für die Betroffenen nur noch Mehrkosten bedeuten. Und für uns in der Verbraucherschutzzentrale kommt hinzu, dass diese Personen in der Statistik gar nicht auftauchen.

Wo liegen die Gründe, dass diesen Menschen nicht geholfen werden kann?

Es gibt mehrere Gründe. Der wichtigste ist aber die mangelnde Ausbildung. Die meisten haben kaum oder gar keine Ausbildung. Wenn du dann auch noch kein vernünftiges Berufsbild hast, sind deine Chancen auf dem Arbeitsmarkt sehr gering. Manche haben dann auch noch eine Drogengeschichte hinter sich, andere haben Migrationshintergrund und beherrschen nur unzureichend eine Sprache. Dann wird es auf dem Arbeitsmarkt schwer.

Nennen Sie mal ein Beispiel.

Kürzlich hatte ich einen jungen Familienvater hier, der verheiratet ist und zwei Kinder hat. Er kommt aus einem schwierigen Umfeld und hat eine Drogengeschichte hinter sich. Dieser Mann bezieht ein bisschen mehr als 1.000 Euro Arbeitslosengeld. Seine Frau verfügt ebenfalls über keine Einkünfte. Der Mann hat nie richtig gearbeitet, hat keine Ausbildung genossen. Die Familiensituation ist so trostlos, dass auch seine Frau es schwer haben würde, eine Arbeitsstelle zu finden. Der junge Mann würde höchstens im Niedriglohnsektor unterkommen, wenn überhaupt.

Er hätte aber wenigstens eine Arbeit…

…aber zu welchem Preis? Machen wir mal die Rechnung: Angenommen, er würde 1.400 Euro verdienen für 40 Stunden die Woche. Das müsste er zuerst mal durchhalten. Doch bevor es soweit ist, müsste der junge Vater ja zuerst ein Transportmittel haben oder zumindest ein Bus-Abonnement von Geld, das er nicht besitzt. Und sollte es tatsächlich klappen, hätten wir am Ende eine Differenz von 150 Euro, die dann aber weg wären, um die Schulden zu bezahlen. Sagen Sie mir: Wie soll ich diesen jungen Familienvater denn motivieren, um an seiner Situation etwas zu ändern?

Wie wäre es mit einem Integrationsprojekt?

Vielleicht ja. Aber die meisten Integrationsprojekte sind in meinen Augen zu kurzfristig angelegt. Und ich hatte in meiner „Kundschaft“ schon einige, die ein Integrationsprojekt hinter sich hatten und dann vor mir am Tisch saßen mit einem Berg voller Schulden. Es gibt mit Sicherheit einige, die dann die Kurve kriegen und das schaffen. Aber für alle – da habe ich meine Zweifel.

Wie könnte man die Situation verbessern?

Das ist schwierig zu sagen. Fakt ist: Es kann nicht sein, dass jemand, der arbeitet, unterm Strich genauso viel oder in manchen Fällen sogar noch weniger hat, als jemand, der gar nicht arbeitet. Das ist aber der Fall.

Der Niedriglohn-Sektor ist also zu schlecht bezahlt?

Definitiv. Und solche Situationen gibt es immer häufiger. Da haben wir auf der einen Seite Menschen mit Migrationshintergrund, auf der anderen Seite haben wir Leute mit einer schwierigen Vergangenheit oder auch Leute, die aus einem Umfeld kommen, in dem ihnen nie ein geregeltes Arbeitsleben vorgelebt worden ist.

Welches Alter haben diese Menschen?

Das ist ganz unterschiedlich. Das reicht von 25 Jahren bis kurz vor der Rente. Überhaupt ist das ein Problem im Niedriglohn-Sektor. Wenn du ein Leben lang in diesem Bereich gearbeitet hast und bist mehr schlecht als recht über die Runden gekommen, hast einen Kredit oder mehrere aufgenommen, kann das für den Ruhestand fatale Folgen haben. Immer wieder habe ich mit Menschen zu tun, die aufgrund einer niedrigen Rente über zu wenig Einkünfte verfügen und ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

Was passiert mit denen, die durchs Raster fallen?

Es mag den einen oder anderen geben, der sich mit knochenharter Arbeit aus seiner Misere befreien kann, aber das ist eher die Ausnahme. Die meisten haben sich in ihrer Armut irgendwie eingerichtet, weil es keine Alternativen gibt.

Gab es das früher auch?

Ich bin jetzt 16 Jahre Schuldnerberater. An solche Fälle kann ich mich zu Beginn meiner Karriere allerdings nicht erinnern. Das ist in den letzten Jahren immer mehr geworden. Und ich bin mir einigermaßen sicher, dass es sich hier um ein generelles Problem handelt. Es hat immer Menschen gegeben, die der Allgemeinheit Kosten verursacht haben, ohne selber eine große Chance zu haben, aus der Misere rauszukommen. Aber es sind immer mehr geworden, für die es keine Hoffnung gibt. (sc/red)