Kuchen oder nur Salz und Essig?

Ein Anhänger der Brexit-Bewegung demonstriert für den sofortigen Austritt Großbritanniens aus der EU. Auch Monate nach dem Votum der Briten für einen Ausstieg aus der EU lässt London keinen klaren Plan zu seiner Verhandlungsstrategie erkennen. | dpa

Von Christoph Meyer

„Das britische Volk hat gesprochen und die Antwort ist: Wir sind raus.“ Als BBC-Moderator David Dimbleby in den frühen Morgenstunden des 24. Juni 2016 diese Worte spricht, ist klar, dass Großbritannien bald nicht mehr dasselbe Land sein wird. Eine knappe Mehrheit der Briten hat sich bei dem historischen Referendum einen Tag zuvor für einen Austritt des Landes aus der EU entschieden.

Wenige Stunden später kündigt Premierminister David Cameron seinen Rücktritt an. Das britische Pfund erreicht in den Wochen und Monaten danach historische Tiefstwerte, fremdenfeindliche Angriffe häufen sich. Und dennoch: Die großen Befürchtungen eines wirtschaftlichen Schocks und eines Banken-Exodus bleiben aus, vorerst zumindest.

Doch das könnte nur die Ruhe vor dem Sturm sein, denn der eigentliche Austritt zieht sich hin. Die neue Premierministerin Theresa May verkündet, dass sie die Austrittserklärung gemäß Artikel 50 des Vertrags von Lissabon bis Ende März nach Brüssel schicken will.

Artikel 50 regelt den Austritt eines Landes aus der EU. Bis dahin soll so wenig wie möglich über die Verhandlungsstrategie der Regierung bekannt werden. Jede öffentliche Debatte darüber könne die Verhandlungsposition Londons schwächen, argumentiert die Regierung.

„Brexit bedeutet Brexit und wir machen einen Erfolg daraus.“ Mit diesen Parolen will May ihre Landsleute ruhigstellen. Die zweifeln zuweilen daran, ob es in Downing Street 10 überhaupt einen klaren Plan für den EU-Ausstieg gibt. Widerstand formiert sich nicht nur in der zerstrittenen Opposition, sondern auch im eigenen Lager.

Der Brexit bereitet May schlaflose Nächte, wie sie in einem Interview mit der „Sunday Times“ Ende November zugibt. Größtes Problem ist, dass sie die Einwanderung aus der EU einschränken muss. Das war das wichtigste Wahlversprechen der Brexit-Befürworter. Gleichzeitig dringen Banken und Industrie darauf, den Zugang zum Europäischen Binnenmarkt nicht aufzugeben. Doch beides ist nicht zu haben, machen Politiker aus der EU immer wieder unmissverständlich klar. „You can’t have your cake and eat it“, besagt ein englisches Sprichwort, das in dem Zusammenhang immer wieder genannt wird. „Du kannst deinen Kuchen nicht gleichzeitig aufbewahren und essen.“

Das Kabinett von Premierministerin Theresa May ist in Sachen Brexit gespalten.

Dazu kommt, dass ein Gericht dem Parlament ein Mitspracherecht bei der förmlichen Austrittserklärung eingeräumt hat. Sollte das Urteil bestätigt werden, könnten die Abgeordneten die Regierung zu einer Debatte über die Brexit-Strategie zwingen und ihr möglicherweise Zugeständnisse abringen. Vor allem aber käme Mays Zeitplan gehörig durcheinander.

Beobachter schließen nicht aus, dass May dann vorzeitige Neuwahlen ausrufen könnte – in der Hoffnung, danach ein willigeres Parlament vorzufinden. Bislang schließt sie das aus. Reguläre Wahlen wären erst wieder 2020 fällig. Ob sich das durchhalten lässt, ist fraglich. May selbst hat kein Mandat, nur ihre Fraktion hat sie ins Amt gewählt.

Ein weiteres Problem hat May in Schottland und Nordirland. Die Mehrheit der Wähler in diesen Landesteilen hat gegen den Brexit gestimmt. Schottland wird von einer nationalistischen Partei regiert, deren erklärtes Ziel die Unabhängigkeit ist. Diese Idee erhält wieder Auftrieb. In Nordirland steht ein kniffliges Problem mit der Kontrolle der Grenze zum EU-Nachbarland Irland bevor. Grenzposten, so fürchten viele, könnte den Friedensprozess zwischen Katholiken und Protestanten zurückdrehen.

Bislang hält May daran fest, niemanden verprellen zu wollen. Sie verspricht Kontrolle über die Grenzen und Zugang zum Binnenmarkt. Das Kabinett ist gespalten. Auf der einen Seite steht Schatzkanzler Philip Hammond, der unbedingt den Zugang zum Binnenmarkt erhalten will.

Auf der anderen Seite stehen die beinharten Brexit-Befürworter wie Brexit-Minister David Davis und Handelsminister Liam Fox, die einen klaren Bruch mit Brüssel suchen und vor allem die Einwanderung einschränken wollen.

Dazu gehört auch Außenminister Boris Johnson, der gerne über italienische Prosecco- und deutsche Autoexporte schwadroniert, und darüber, dass die EU-Staaten ja nicht so unklug sein könnten, sich den lukrativen Absatzmarkt Großbritannien abzuschneiden. „Wir bewahren den Kuchen auf und essen ihn“, sagte er dazu einmal. Eine Haltung, die außerhalb Großbritanniens, wo Johnson in weiten Teilen der Bevölkerung eine Art Narrenfreiheit genießt, als Arroganz bewertet wird.

Der „Guardian“ warnte bereits, Johnson sei auf dem besten Weg, die 27 verbleibenden EU-Staaten zu einer nie da gewesenen Einigkeit zu formen: in der Konfrontation mit Großbritannien.

Einzelne Äußerungen von Kabinettsmitgliedern machen immer wieder Hoffnung, dass sich London doch noch zu einem Kompromiss bereit findet. Doch eine offizielle Linie ist schwer zu erkennen. Bleibt es dabei, könnten die Verhandlungen zäh werden. Bundesfinanzminister Schäuble warnte zuletzt, es werde kein „Menu à la carte“ geben.

EU-Ratspräsident Donald Tusk brachte die Stimmung in Europa am besten auf den Punkt: „Es wird keinen Kuchen auf dem Tisch geben, für niemanden. Nur Salz und Essig“. (dpa)