Ein Streifzug durch Kelmis, Neu-Moresnet und Hergenrath

<p>Alt Hergenrath: Das Isolierrohr-Werk, „Het Tübes“ genannt, beschäftigte bis zu 40 Arbeitskräfte.</p>
Alt Hergenrath: Das Isolierrohr-Werk, „Het Tübes“ genannt, beschäftigte bis zu 40 Arbeitskräfte. | Fotos: privat

Dabei scheut er sich nicht, auch unangenehme Themen aufzugreifen wie die Tatsache, dass viele ledige Mädchen, die von irgendjemand schwanger wurden, oft gezwungen waren, das unerwünschte Kind zur Adoption freizugeben.

Sein viertes Buch widmet der passionierte Heimatforscher allen verstorbenen Kelmiser Mitbürgern. Deren gelebte Vergangenheit betrachtet er als das Spiegelbild der Vorfahren und sieht in ihnen die Wurzeln des heutigen Kelmis. Iwan Jungbluth nimmt die Leser mit auf eine spannende Zeitreise, in der er den Fokus auf die Epoche 1880 bis 1920 legt, aber auch die jüngere Vergangenheit nicht aus den Augen verliert.

Der Autor greift neben seiner Betrachtung über das Leben der Frauen zur neutralen Zeit viele andere Aspekte der Kelmiser Geschichte auf, die das reich illustrierte Buch zu einem Referenzwerk für alle macht, die an der Erforschung der Vergangenheit der Großgemeinde Kelmis interessiert sind. Die 43 Kapitel, in die Jungbluth sein neues Buch gegliedert hat, beleuchten so unterschiedliche Themen wie das alte und das neue Göhltalmuseum, den Bergkanal, die Villa Jansmühle und die Bedeutung der Jansmühle am Tüljebach für die industrielle Entwicklung der Gemeinde Neu-Moresnet.

Ebenfalls im ehemals Preußisch-Moresnet liegt an der Casinostraße ein Felsenkeller. Dieser diente der einzigen Brauerei auf dem Gebiet der Gemeinde Kelmis zur Lagerung des Bieres. Die Brauerei gehörte zu der Gaststätte, die Joseph Müller 1856 im einst als Haus Reinartz bekannten Eckhaus Lütticher Straße/Maxstraße als neuer Mieter übernahm. Von dem Felsenkeller ist in dem Mietvertrag die Rede, der in Burtscheid notariell beglaubigt wurde. Das unterirdische Gewölbe hatte zwei Eingänge: einen im Bereich des Tüljebergs, der andere an der Casinostraße.

Auch weiteren bemerkenswerten Häusern widmet Jungbluth seine Aufmerksamkeit. Im Gutshof Lintzen an der Lütticher Straße befand sich bereits 1783 eine kleine Herberge. In den Jahren 1821 bis 1830 nutzten Preußen und die Niederlande das Haus gemeinsam als Zollamt. Als festen Bestandteil der Kelmiser Geschichte bezeichnet der Autor das Haus Radermacher-Bosch an der Abzweigung Kirchstraße-Kirchplatz, genannt „An der kritische Eck“, das um die Wende zum 20. Jahrhundert erbaut wurde, immer als Geschäftshaus diente und heute das „Touristinfo“ beherbergt.

1912 wurde an der Ecke Kirchstraße-Lütticher Straße das Haus Steffens errichtet, das über 100 Jahre im Besitz der Familie Emonts/Steffens war. Iwan Jungbluth ermöglicht seinen Lesern einen Blick ins Innere dieses prächtigen Gebäudes.

Gedenken an Kelmiser Persönlichkeiten

Auch dem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Gutshof Hirtz an der „Pavei“, der ursprünglich „e jen häets“ genannt wurde, ist ein Kapitel gewidmet. Hier befand sich um 1684 eine Barriere an der Wegezoll entrichtet werden musste.

Reich bebildert hat der Heimatgeschichtler das Kapitel über Gaststätten und Schenken in der Großgemeinde Kelmis. 1902 gab es im neutralen Kelmis drei Gast- und 46 Schenkwirtschaften. Auf dem Gebiet von Preußisch-Moresnet verzeichnete man fünf Gastwirtschaften und weitere fünf in Hergenrath. Ein eigenes Kapitel ist der Gaststätte Astoria in Neu-Moresnet gewidmet, deren Existenz seit 1907 belegt ist. In deren Kaisersaal lud man am 31. Januar jenes Jahres zum Passionsfestspiel ein. Bis zu seiner Schließung im Jahr 1991 war das Astoria ein beliebter Ort zum Feiern von Festen aller Art, nicht zuletzt war es Hochburg des Karnevals.

Mehrere Kapitel seiner neuen Publikation widmet Jungbluth Kelmiser Persönlichkeiten. Besonders zugetan sei er dem ehemaligen Kulturinspektor Firmin Pauquet gewesen, den er als seinen Mentor betrachtet, der immer ein offenes Ohr für ihn hatte, wenn er ihn um Rat bei der Lösung einer Frage zur Heimatgeschichte bat. Eine weitere Persönlichkeit, die sich seit jungen Jahren mit der Erforschung der Kelmiser Bergwerk-Vergangenheit beschäftigt hatte, war Paul Simons. Im Laufe der Jahre trug er eine einzigartige Kollektion an Mineralien und petrifiziertem Holz zusammen.

Eine dorfbekannte Persönlichkeit war Armand Brou, begeisterter Karnevalist und Laienschauspieler. Ebenfalls ein Urgestein des Kelmiser Karnevals war Mucky Pelzer. Wegen seiner 50-jährigen Tätigkeit im Karnevalskomitee wurde er 2017 mit der Goldenen Ehrennadel der DG ausgezeichnet. Eine Legende der Kelmiser Lokalgeschichte ist zweifellos Dr. Wilhelm Molly, Betriebsarzt der Gesellschaft „Vieille Montagne“. Er wollte in Neutral-Moresnet einen „Esperanto-Staat“ schaffen und kreierte eigene Briefmarken für das neutrale Gebiet.

Hergenrath in alten Zeiten

Die Maxstraße in Neu-Moresnet ist wohl den meisten Kelmisern bekannt. Dass sie ihren Namen dem Direktor Max Braun der Agence de Moresnet der Vieille Montagne verdankt, dürfte nicht jedem klar sein. Braun wohnte in der Jansmühle und setzte sich für den Bau der evangelischen Johanneskirche und des Pfarrhauses sowie für das Anlegen eines Friedhofs in Preußisch-Moresnet ein.

Eine schillernde Persönlichkeit war der aus Hergenrath gebürtige Bauernsohn Heinrich (Henry) Neid. 1926 eröffnete er in „Hotel Bergerhoff“ (heute Kulturhaus Select) sein erstes Spielcasino, das allerdings schon 1928 behördlicherseits geschlossen wurde. Zehn Jahre später übernahm er das Casino in Herbesthal. Zwischenzeitlich betrieb er auch Casinos in Middelkerke, Chaudfontaine und Spa.

In der Sammlung Kelmiser Persönlichkeiten darf natürlich Peter Kofferschläger nicht fehlen. Er wurde 1939 zum Bürgermeister von Kelmis ernannt. Im Mai 1940 wurde er von den Nazis seines Amtes enthoben und 1942 in Ensival von der Gestapo verhaftet. Nach der Befreiung nahm er sein Amt als Bürgermeister wieder auf. Bei den ersten Parlamentswahlen nach dem Krieg wurde er in die Abgeordnetenkammer gewählt. Nach dem Weggang der „Vieille Montagne“ im September 1951 setzte er sich tatkräftig für eine Neuorientierung der Kelmiser Angelegenheiten ein.

<p>Autor Iwan Jungbluth: Die Erforschung der Kelmiser Geschichte ist sein liebstes Hobby.</p>
Autor Iwan Jungbluth: Die Erforschung der Kelmiser Geschichte ist sein liebstes Hobby.

Der aus Kelmis gebürtige Priester Jacques Pirson war während des Krieges im Widerstand aktiv. 1945 kam er als Kaplan an die St. Josef-Pfarre in Eupen. Erst als Rentner kehrte er im Alter von 70 Jahren nach Kelmis zurück und nahm noch 23 Jahre lang regen Anteil am Leben der Pfarrgemeinde.

Es gibt kaum ein Thema, das Iwan Jungbluth in seinem vierten Band der Kelmiser Geschichten außen vor lässt. Das „Comité des Vieillards et Invalides Calaminois“ (Covical) wird ebenso vorgestellt, wie die seit 60 Jahren bestehenden Rot-Kreuz-Sektion Kelmis, der Kegelclub Calaminia, der Gemeindepark, der Kirchplatz und das Gefallenendenkmal, der Casinoweiher und das Rondell in Tülje.

Kelmis im Zweiten Weltkrieg, die Gendarmerie (der der Autor selbst angehörte), der Festplatz „Kul“, die öffentliche Ordnung und der Schmuggel zur neutralen Zeit werden ebenso behandelt wie die Stellung der Männer in jenen Jahren. Von der Neutralität zur Gegenwart war es ein weiter Weg, den Jungbluth ebenfalls nachzeichnet. Ausführlich beschäftigt er sich zudem mit Hergenrath in alten Zeiten und liefert zu seinen beiden ersten Büchern neue Erkenntnisse als Nachträge.

Jungbluth Iwan, Kelmiser Geschichten, Band 4, Grenz-Echo-Verlag, 282 Seiten, Großformat, 35 Euro.

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