Ostbelgien und Gespenster aus der Vergangenheit

<p>Der neue Band 6 aus der Reihe „Grenzerfahrungen“ wurde am Freitagabend vorgestellt.</p>
Der neue Band 6 aus der Reihe „Grenzerfahrungen“ wurde am Freitagabend vorgestellt. | Foto: GEV

Neue Ansätze in der ostbelgischen Geschichtsschreibung haben Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir diese Verdrängung überwinden können. Einen weiteren wertvollen Beitrag in diesem Sinne liefert Band 6, mit dem die Geschichtsreihe „Grenzerfahrungen – Eine Geschichte der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens“ abgeschlossen wird. Am Freitagabend wurde er in Eupen vorgestellt.

Die Publikation geht auf zahlreiche Aspekte der letzten 50 Jahre ein – angefangen mit dem Jahr 1973, als am 23. Oktober der Rat der deutschen Kulturgemeinschaft (RdK) eingesetzt wurde. 1973 gilt deshalb als Anhaltspunkt für das Jubiläum „50 Jahre Autonomie“, das wir 2023 auf unterschiedliche Weise begehen.

Herausgekommen ist wie schon bei den vorherigen Bänden aus der Reihe keine politische Jubel-Auftragsarbeit, die mit an der „Erfolgsgeschichte“ der DG schreibt, sondern ein neutraler Blick auf Entwicklungen der letzten fünf Jahrzehnte.

Das Buch ist auch deshalb so interessant, weil viele Menschen das, was sie dort nachlesen können, selbst miterlebt haben. Das gilt natürlich ebenfalls für die Autoren selbst und hat ihre Aufgabe bestimmt nicht leichter gemacht.

Bemerkenswert ist auch die „analytische“ Brille, die sich die Historiker hier aufgesetzt haben: Sie beschreiben die Geschehnisse in Ostbelgien als eine von Angst und Zweifeln geprägte Geschichte. Mitherausgeber Andreas Fickers sprach am Freitagabend bei der Präsentation des Bandes von der Vergangenheit, die wie ein „Gespenst“ immer wieder aufgetaucht sei. Und er fügte hinzu: „Ängste sind zukunftsbezogene Emotionen.“

Das neue Buch könnte auch Rückschlüsse für die aktuelle Debatte um die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft liefern. Denn zu den typischen Minderheitenängsten gehört auch die Frage, ob das mit der politischen Selbstständigkeit für die DG nicht alles zu viel wird, ob die Dimensionen vielleicht nicht doch zu groß werden.

Jemand, der solche Bedenken fast schon wie selbstverständlich zur Seite geschoben hat, war Karl-Heinz Lambertz – frei nach dem Merkel-Motto: „Wir schaffen das.“ Am Freitagmorgen hat das SP-Urgestein seinen endgültigen Abschied aus der aktiven DG-Politik verkündet, die er so viele Jahre mitgeprägt hat. Argumente im Sinne von mehr Autonomie hatte kurz zuvor eine wissenschaftliche Simulation geliefert, die den Beweis erbringen soll, dass die DG es finanziell „überleben“ würde, wenn sie alle regionalen Kompetenzen übernimmt.

Auch wenn dies die Verhandlungsposition der DG in Belgien verstärken mag, werden mit solchen Studien keine tiefsitzenden Ängste überwunden. Das schafft man nur, wenn man Bedenken aufgreift, Kritiker ernst nimmt und Probleme nicht kleinredet, sondern offen ausspricht.

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