„Matildas“ fiebern England-Halbfinale entgegen: „Alter Feind, neue Schlacht“

<p>Die Vorfreude ist groß, auch bei Australiens Nationaltrainer Tony Gustavsson und Torhüterin Mackenzie Arnold.</p>
Die Vorfreude ist groß, auch bei Australiens Nationaltrainer Tony Gustavsson und Torhüterin Mackenzie Arnold. | Foto: Photo News

Anthony Albanese sprach einer ganzen Nation aus der Seele: „Das ist mehr als ein Sportereignis“, verkündete Australiens Premierminister vor dem Jahrhundertspiel von Sydney, „es ist so viel mehr. Es ist einfach Inspiration.“ Der Siegeszug der Matildas, der Heldinnen in Gelb und Grün, hat die fast 26 Millionen Menschen in Down Under in ihren Bann gezogen.

Wenn Australiens Fußballerinnen am Mittwoch (12 Uhr MESZ) im Halbfinale der Heim-WM vor 83.500 Fans gegen Englands Europameisterinnen um den Einzug ins Endspiel-Duell mit Spanien (2:1 im ersten Semifinale gegen Schweden) kämpfen, ist das also nicht bloß ein Fußballspiel. Es ist ein nationales Ereignis, auch weil es gegen die alte Kolonialmacht geht. Ein Ereignis, wie es dies seit dem legendären Olympia-Goldlauf von Cathy Freeman 2000 an genau gleicher Stelle nicht gegeben hat.

„Ein alter Feind, eine neue Schlacht – und eine Nation voller Bewunderung hält den Atem an“, titelte die Tageszeitung The Australian. Wer dachte, dass mit dem Viertelfinal-Drama gegen Frankreich (7:6 n.E.) das Emotions-Maximum erreicht sei, sieht sich getäuscht: Der Traum vom WM-Titel wird fiebrig. „Wir glauben alle daran“, schrieb die tasmanische Tageszeitung Mercury. Albanese hat für den Fall des Final-Triumphs einen Feiertag in Aussicht gestellt.

Die Erwartungen sind riesig an die Halbfinal-Debütantinnen, doch Nationalcoach Tony Gustavsson sieht darin keine Bürde: „Das ist kein Druck für uns, sondern Treibstoff.“

Treibstoff könnte zudem ein Startelf-Einsatz von Starstürmerin Sam Kerr werden, die an den Folgen eines Muskelfaserrisses laboriert, doch bei der Chelsea-Angreiferin sieht es erneut nur nach Jokerrolle aus. „Sie hat im Viertelfinale länger gespielt als erhofft“, sagt Gustavsson, „aber sie hat uns da körperlich wie mental unglaublich gepusht.“

Ihre Landsleute werden mit und um Kerr zittern – so wie sie es vor 23 Jahren bei Cathy Freeman taten. Damals schauten 8,8 Millionen Menschen in Australien am TV zu, die Quote nun im Viertelfinale lag bei 7,2. Die frühere Ausnahme-Leichtathletin Freeman, die öffentliche Auftritte scheut, hatte die Matildas vor der WM auf das Turnier eingeschworen. Der Goldlauf Freemans, die der indigenen Bevölkerung abstammt, hatte bei den Millenniums-Spielen eine große politische Botschaft gesendet. In dieser Tradition treten nun die Fußballerinnen an, auch wenn die beiden einzigen Spielerinnen mit Aborigines-Wurzeln (Torhüterin Lydia Williams und Angreiferin Kyah Simon) bislang ohne Einsatz-Minuten sind.

Reichlich Druck liegt derweil auf den Engländerinnen bei ihrem dritten Halbfinale nach 2015 und 2019. Beide Male verloren sie. „Das Australien-Match wird größer, als ich es mir je vorgestellt hatte“, sagt Englands Trainerin Sarina Wiegman: „Ich musste mit meinen Spielerinnen und Mitarbeitenden reden, um zu wissen, was diese Rivalität bedeutet.“

Sie bedeutet vor allem in Australien einiges. Einst war die weit entfernte Insel von den Briten zur Ansiedlung von Sträflingskolonien genutzt worden, das australische Ringen um Unabhängigkeit war erst 1986 mit dem Australia Act gänzlich abgeschlossen. Die sportliche Rivalität entwickelte sich bereits Ende der 1860er-Jahre. Und findet nun ihre Fortsetzung.

„Die Engländerinnen mögen Favoriten sein“, sagt Gustavsson: „Aber wir haben etwas, was ihnen fehlt: die gigantische Unterstützung der Fans.“ (sid/tf)

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