Kranke Stadtbäume in NRW – der botanische Patient

<p>Ein Baumstumpf eines kürzlich gefällten Baumes ist am Aachener Weiher in Köln neben den Autos im Feierabendverkehr zu sehen.</p>
Ein Baumstumpf eines kürzlich gefällten Baumes ist am Aachener Weiher in Köln neben den Autos im Feierabendverkehr zu sehen. | Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Wie schlecht es dem botanischen Patienten geht, zeigen ein paar Zahlen aus Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt: 2018 sind in Düsseldorf knapp 800 Stadtbäume gefällt worden – 2019 bereits 1500, ein Jahr später dann über 2000. „Die Zunahme von klimabedingten Stressfaktoren wirkt sich auf einen erheblichen Teil des Stadtgrüns und des Baumbestands aus“, heißt es aus dem Rathaus. Schuld ist laut Experten insbesondere die extremer werdende Sommer-Hitze. Demnach leiden besonders heimische Arten wie Berg- und Spitzahorn, Buche, Birke, Esche, Fichte, Lärche und Rosskastanie. Landesweite Zahlen über Baumfällungen gibt es einer dpa-Anfrage ans Landesumweltamt (Lanuv) zufolge nicht. Doch wer mit Umweltschützern spricht, erfährt schnell: Der Stadtbaum in NRW hat ein großes Problem – und damit auch der Mensch.

Denn: Müssen Bäume gefällt werden, sieht es Fachleuten zufolge nicht nur für das Stadtbild, sondern auch die Gesundheit der Bewohner schlecht aus. Mehr Bäume in den Städten hätten laut einer spanischen Studie in der Fachzeitschrift „The Lancet“ im Hitze-Sommer 2015 den Tod von 2.644 Menschen in ganz Europa verhindert. In den besonders warmen Monaten waren in den 93 untersuchten Städten damals 6.700 Menschen wegen sogenannter Hitzeinseln gestorben. Mehr Bäume, so die Experten, hätten das Aufheizen der Städte verhindern und für kühlere Temperaturen sorgen können. Auch aus dem NRW-Umweltministerium heißt es, dass Grünflächen eine wichtige Rolle im Hinblick auf Hitze in Städten spielten. Bäume verbessern auch die Luftqualität, indem ihre Blätter Schadstoffe und Feinstaub aus der Luft filtern.

Dass Stadtbäume für den Menschen wichtig sind, macht auch Holger Sticht, Landesvorsitzender vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in NRW deutlich: „Gerade in diesem Rahmen der Klimaveränderung ist die Einführung von Klimaanpassungsstrategien wichtig, um überhaupt in der Stadt zukünftig ein für Menschen gutes Leben zu ermöglichen.“ In der Vergangenheit seien Stadtbäume bei der Stadtentwicklung aber selten mitgedacht worden. Ihre Lebensräume seien fast immer zu klein bemessen, bemängelt Sticht. „Bäume sind aber eben keine technischen Einrichtungen, sie sind Lebewesen.“

Das Lebewesen neben Birgit Diermann heißt mit lateinischem Namen „Acer rubrum“. Es ist ein amerikanischer Rot-Ahornbaum, den sie am Straßenrand gepflanzt hat. Denn auch in ihrer Nachbarschaft in Bochum-Dahlhausen sind Grünflächen rar. Weil sie auch als Bürgerin etwas dagegen tun wollte, hat sie mit Nachbarn die „Initiative Nachbarschaft und Nachhaltigkeit“ gegründet – und in den vergangenen zwei Jahren fast zwei Dutzend neue Stadtbäume gepflanzt. „Wir müssen mehr achtgeben auf die Stadt- und Straßenbäume“, sagt sie der dpa.

Das haben in NRW mittlerweile auch viele Kommunen begriffen, wie eine Umfrage bei den Städten zeigt. Landesweit arbeiten Projekte für das längere und gesündere Leben des Stadtbaumes – neben privaten Initiativen wie der aus Bochum gibt es einige Vorbilder in NRW. Essen hat zwischen 2016 und 2019 über 2100 neue Straßenbäume gepflanzt und in Dortmund gibt es jährlich rund 1.500 Jungbäume. Eine Neupflanzung koste die Stadt bis zu 1500 Euro – deshalb gibt es in Dortmund Arbeitskreise wie „Zukunftsbäume und Klimabäume“, die sich für bessere Standort-Bedingungen und den Schutz von Jungbäumen einsetzen.

Auch die Landeshauptstadt wird mit dem Projekt „Düsseldorf pflanzt Zukunft“ etwas grüner: Seit 2018 wurden demnach etwa 300 Bäume an neuen Standorten gepflanzt und mehr als 120 an bestehenden Standorten ersetzt. In Köln setzt man etwa auf das Projekt „Wasser muss zum Baum“. So wurden 2021 200.000 Euro von der Stadt freigegeben, um bestimmte Pflanzenstoffe bei Neupflanzungen einzusetzen, den Baumstandort zu verbessern und das Wachstum zu fördern.

Insgesamt hat NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) im vergangenen Juni eine Summe von zwei Millionen Euro im Rahmen der Landesinitiative „1.000 Bäume für Nordrhein-Westfalen“ zugesagt, um die Notwendigkeit von mehr Bäumen in den Städten zu realisieren. Großstädte wie Essen, Köln, Leverkusen, Münster und Düsseldorf sind außerdem Teil des Arbeitskreises Stadtbäume der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK). Sie führen regelmäßig Baumtests durch und entwickeln Strategien gegen den Baumverlust.

Aber Neupflanzen allein reicht aus Expertensicht nicht. „Neupflanzungen benötigen 20 bis 30 Jahre um die Funktion der Klimaanlage zu erfüllen und von daher sollte immer der Erhalt der bestehenden Straßenbäume hohe Priorität haben“, so Baumexperte Christian Hönig vom BUND. Auch der Ansatz vieler Städte, die Pflanzflächen für Stadtbäume zu vergrößern, löse das Problem nicht. Die Herausforderung sei, die Baumwurzeln in die Tiefe zu lenken, indem Wasser nicht nur oberflächlich, sondern auch noch von unten zugeführt werde. Auch die langfristige Pflege sei wichtig - so könnten auch Bäume beispielsweise im Sommer „Sonnenbrand“ bekommen.

Es gibt also Hoffnung für den Stadtbaum und in Bochum-Dahlhausen packen Diermann und ihre Mitstreiter in diesen Monaten dann wieder selbst mit an. Sie laden Gießkannen auf Lastenfahrräder und gießen ihre neuen Stadtbäume mit frischem Wasser aus der nahen Ruhr. Der junge Rotahornbaum ist natürlich mit dabei.

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