Auenland gegen Mordor? - Der große Kampf um Lützerath

<p>Polizisten und Demonstranten stehen sich bei der Demonstration von Klimaaktivisten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath gegenüber.</p>
Polizisten und Demonstranten stehen sich bei der Demonstration von Klimaaktivisten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath gegenüber. | Foto: Oliver Berg/dpa

Es sind Bilder wie kurz vor einer mittelalterlichen Feldschlacht. In langen Reihen stehen sich die Gegner unter schwarzen Regenwolken gegenüber. Auf der einen Seite die überwiegend vermummten Demonstranten mit im Wind wehenden Fahnen und Transparenten über ihren Köpfen. Auf der anderen Seite die dunkel uniformierten Polizisten mit Schlagstöcken, Helmen und Schutzschilden. Und wie in lang vergangenen Zeiten geht es darum, einen strategisch wichtigen Punkt zu erobern - in diesem, Fall ein kleines Dorf mit dem putzigen Namen Lützerath.

Ein Dorf, das es kurioserweise fast schon nicht mehr gibt. Denn zu ebendieser Stunde sind alle möglichen Einsatzkräfte damit beschäftigt, die wenigen Gebäude in Rekordtempo abzureißen. Lützerath soll vom Erdboden verschwinden, um den Weg für das Abbaggern der darunter liegenden Braunkohle freizumachen, und dies möglich schnell - in der Hoffnung, dass es dann für die Klimaaktivisten nichts mehr zu stürmen gibt. Doch bevor es soweit ist, kommt es am Samstag erst noch zum großen Showdown. Nur mit Tausenden Beamten, mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken kann die Polizei eine Erstürmung der Siedlung verhindern.

Wie schon 2018 beim nahe gelegenen Hambacher Forst scheinen Politik und Behörden auch diesmal wieder von der Stärke des Widerstands bis in breite Schichten des Bürgertums überrascht zu sein. Dass am Samstag viele Menschen zu der angekündigten Demonstration nach Erkelenz am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus kommen würden, das hat man erwartet - aber dass es dann so viele sein würden und dies trotz Dauerregens und Windböen, das übertrifft dann doch alle Erwartungen. Die Polizei spricht von 10.000 Teilnehmern, Fridays for Future von 35.000.

<p>Die Polizei fährt mit einem Wasserwerfer bei einer Demonstration an Klimaaktivisten vorbei.</p>
Die Polizei fährt mit einem Wasserwerfer bei einer Demonstration an Klimaaktivisten vorbei. | Foto: Federico Gambarini/dpa

Michael Strauß kommt aus der Nähe von Stuttgart: „Ich finde es wichtig, dass wir zeigen, dass wir nicht alles unterstützen, was politisch läuft“, sagt der 33-jährige. Unter den Demonstranten sind Familien mit Kindern, manche haben ihren Hund mitgebracht. Ein Mann schiebt einen Einkaufswagen mit Verpflegung - Kisten mit Äpfeln, Mandarinen und Möhren. Teilnehmer skandieren Parolen wie „Aaa-lleeee - alle Dörfer bleiben“. Mache haben Trommeln dabei, zwei Männer mit Trompeten stimmen Karnevalslieder an. Von einem Wagen am Straßenrand klingt eher düstere Musik: „Wir werden sehen Welten die zu Ende gehen“, heißt es im Text.

Anwohner solidarisieren sich spontan mit den Besuchern: „Muss noch jemand auf Toilette?“ Als die Sprache auf die beiden Aktivisten kommt, die in Lützerath seit Tagen in einem Tunnel ausharren, sagt ein Demonstrant ehrfurchtsvoll zu anderen: „Absolute Helden!“

Fast schon in Sichtweite der Bühne teilt sich der schier endlos lange Demozug - Hunderte Teilnehmer gehen Richtung Tagebau-Abbruchkante. Trotz des aufgeweichten Bodens treten viele, auch mit Kindern, nah an den Abgrund heran, schauen sich den gewaltigen Krater an und machen Selfies. Dass dort Lebensgefahr besteht, weil es zu Erdrutschen kommen kann, scheint ihnen nicht bewusst zu sein.

<p>Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (links) und Greta Thunberg nehmen an der Demonstration von Klimaaktivisten bei Lützerath unter dem Motto „Räumung verhindern! Für Klimagerechtigkeit“ teil.</p>
Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (links) und Greta Thunberg nehmen an der Demonstration von Klimaaktivisten bei Lützerath unter dem Motto „Räumung verhindern! Für Klimagerechtigkeit“ teil. | Foto: Oliver Berg/dpa

Sie blicken über eine Landschaft, die Klimaaktivistin Greta Thunberg an diesem Tag im dpa-Interview als „Mordor“ bezeichnet - jenes Reich, in dem der englische Schriftsteller J.R.R. Tolkien in seiner Fantasiewelt Mittelerde das ultimativ Böse verortet hat. Nur wenige Kilometer weiter herrscht dagegen Auenland-Romantik samt Hühnern, Heuhaufen und grasenden Pferden. Hier gibt die weltberühmte Greta am Vormittag Interviews.

Stunden später steht sie vor einer unabsehbaren Menschenmenge auf dem Podium. Es pfeift und weht, so dass sie sich während ihrer Rede immer wieder die Haare aus dem Gesicht streichen muss: „Sorry!“ Dann sagt sie, an ihre Zuhörer gewandt: „You are the saints, and you are the hope!“ Sie sind die Heiligen und die Hoffnung. Wenn die Regierungen versagten und mit Konzernen paktierten, müssten die ganz normalen Menschen die Dinge eben selbst in die Hand nehmen. Thunbergs Rede ist getragen von der Überzeugung, dass die Klimaaktivisten in der nachwachsenden Generation die Mehrheit stellen werden. In diese Richtung gingen auch Rufe, die die Besetzer von Lützerath in den vorangegangenen Tagen der Polizei zugerufen habe: „Eure Kinder sind wie wir! Eure Kinder sind wie wir!“

Am Ende ruft Greta den Demonstranten etwas auf Deutsch zu: „Ich sag "Lützi" - ihr sagt?“ - „Bleibt!“, ergänzt die Menge. Es ist zwar höchst unwahrscheinlich, dass von Lützerath in wenigen Tagen noch mehr verblieben sein wird als ein paar Trümmer. In Erinnerung bleiben dürfte der kleine Ort aber trotzdem: als Mahnung, dass ein solcher Abriss im heutigen Deutschland nur noch unter Aufbietung massiver staatlicher Machtmittel durchgesetzt werden kann.

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