Amokfahrt-Prozess in Trier: Bei Betroffenen wächst zum Ende die Anspannung

<p>Einsatzkräfte sind Anfang Dezember 2020 nahe der Fußgängerzone in Trier im Einsatz, in der ein Auto mehrere Menschen erfasst und tödlich verletzt hat. Der Prozess um die Amokfahrt steht nun vor dem Abschluss.</p>
Einsatzkräfte sind Anfang Dezember 2020 nahe der Fußgängerzone in Trier im Einsatz, in der ein Auto mehrere Menschen erfasst und tödlich verletzt hat. Der Prozess um die Amokfahrt steht nun vor dem Abschluss. | Foto: Harald Tittel/dpa

Wolfgang Hilsemer ist froh, wenn der Prozess um die tödliche Amokfahrt in Trier vorbei ist. Seit vergangenen August hat er fast keinen der bisher rund 30 Termine am Landgericht Trier ausgelassen, um als Nebenkläger den Prozess gegen den mutmaßlichen Amokfahrer zu verfolgen. Gegen den Mann, der laut Anklage am 1. Dezember 2020 mit seinem Geländewagen durch die Fußgängerzone raste, um gezielt Menschen anzufahren - und der Hilsemers Schwester (73) als erstes Opfer tötete. Insgesamt kamen bei der Amokfahrt fünf Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt und traumatisiert. „Der Prozess belastet schon sehr“, sagt Hilsemer (64). Am Abend vor jedem Prozesstag sei er nervös. „Da schlaf ich dann auch nicht gut.“ Aber: „Ich will das Ganze beobachten, ich möchte genau wissen, was passiert. Ich ziehe das durch.“ Er weiß, dass seine Anspannung bald wieder größer wird - denn das Ende des Prozesses rückt näher. „Bei den Plädoyers kommt alles noch mal hoch. Ich bin so ein Typ, der alles im Kopf miterlebt. Und das ist manchmal schon hart.“

Hilsemers Anwalt Otmar Schaffarczyk meint, dass der Prozess noch voraussichtlich bis Ende Mai gehen wird. „Wir werden sicher noch fünf zusätzliche Termine brauchen.“ Bisher ist der 26. April der letzte Verhandlungstermin. Unter anderem stehen noch mehrere Gutachten aus, es könnte zudem Beweisanträge geben. Dann folgen die Plädoyers, auch von etlichen Nebenklägern - bevor dann das Urteil fällt. Schaffarczyk glaubt auch, dass gegen Ende des Prozesses „der Puls wieder steigt“. Als mutmaßlicher Täter steht seit dem 19. August 2021 ein 52-Jähriger vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fünffachen Mord und versuchten Mord in 18 weiteren Fällen vor. Zum Prozessauftakt hatte der angeklagte Deutsche vor Gericht erklärt, er wolle keine Aussage machen. Bisher hat er seine Meinung nicht geändert und geschwiegen. Nach vorläufiger Einschätzung eines psychiatrischen Sachverständigen leidet der Mann an einer Psychose.

<p>Rechtsanwalt Otmar Schaffarczyk (l.) neben seinem Mandanten Wolfgang Hilsemer. Hilsemer hat bei der Amokfahrt seine Schwester verloren.</p>
Rechtsanwalt Otmar Schaffarczyk (l.) neben seinem Mandanten Wolfgang Hilsemer. Hilsemer hat bei der Amokfahrt seine Schwester verloren. | Foto: Birgit Reichert/dpa

Scheinbar regungslos verfolgt der Angeklagte, der zuletzt arbeits- und wohnsitzlos war, bisher die Prozesstage. Er sitzt im Gerichtssaal hinter Sicherheitsglas und macht sich gelegentlich Notizen. „Ich muss mich jedes Mal ärgern, wenn ich ihn beobachte“, sagt Hilsemer. Auch wenn Augenzeugen von der schrecklichen Tat berichten und erzählen, wie sie bis heute unter den Folgen leiden: „Das lässt den vollkommen kalt, was die da sagen. Das interessiert ihn gar nicht.“ Das Schweigen des Angeklagten zur Tat und den Hintergründen belastet Überlebende und Hinterbliebene, sagt Bernd Steinmetz für die Stiftung Katastrophen-Nachsorge. „Das ist etwas, das total irritiert und betroffen macht. Und manche auch wütend“, sagt er. Denn viele hatten sich erhofft, im Prozess etwas über das „Warum“ zu erfahren. Aber: „Es gibt aber auch Gewalttaten, wo das Motiv gar nicht hilft, weil es überhaupt nicht nachvollziehbar ist“, sagt Steinmetz.

Er ist über die Stiftung in die Betreuung der Opfer und Hinterbliebenen eingebunden - und im Prozess in einem Team mit Notfallseelsorgern im Gericht als Ansprechpartner vor Ort. Der Prozess sei „ein Meilenstein in der Verarbeitung“, sagt er. Je nach Person verlaufe diese aber unterschiedlich. Beim manchen reiße das Verfahren neue Wunden auf, andere hielten sich fern und wiederum andere kämen inzwischen besser klar. Wie Hilsemer zum Beispiel: „Ich kann auch wieder durch die Stadt gehen, ohne Angst zu haben, dass ein Auto hinter mir ist.“ Für ihn sei es wichtig, über den Verlust zu sprechen, über den Prozess und über den Angeklagten. „Ich gehe offensiv damit um.“

„Der muss weg und darf nie mehr raus“, findet Wolfgang Hilsemer.

Neben Hilsemers Schwester starben bei der Tat ein neun Wochen altes Baby, dessen Vater (45) und zwei Frauen im Alter von 25 und 52 Jahren. Im Oktober war zudem ein 77-Jähriger gestorben, der bei der Tat schwer verletzt worden war - der Schwager von Hilsemer. Nach einem Gutachten ging der Tod des 77-Jährigen aber nicht auf die bei der Amokfahrt erlittenen Verletzungen zurück. An den vergangenen Prozesstagen hatten Dutzende Zeugen von ihren teils traumatischen Erlebnissen erzählt. Viele hatten geschildert, wie der Mann gezielt auf seine Opfer zufuhr, Menschen traf, verletzte und tötete. Wie der Kinderwagen durch die Luft flog. Zudem berichteten sie, wie schwer das Erlebte sie bis heute belaste: Die Bilder kämen immer wieder zurück, sie erinnerten sich an die Schreie von damals. „Ich bin echt mal gespannt, wie das Urteil lauten wird“, sagt Hilsemer. Das Wichtigste für ihn sei: „Der muss weg und darf nie mehr raus.“ Anwalt Schaffarczyk sagt, er gehe davon aus, dass der Angeklagte eine lebenslange Freiheitsstrafe bekomme, obwohl er wegen seiner Psychose wohl vermindert schuldfähig sei. „Die verminderte Schuldfähigkeit führt nicht zwingend zur Strafmilderung“, sagt er.

Dies sei eine „Kann-Vorschrift“, die bei den schweren Folgen dieser Tat nicht greifen würde. Seine Prognose: „Er wird ein Leben lang in der Psychiatrie bleiben, weil Gutachter immer wieder sagen werden: Der hat eine Psychose, die ist nicht therapierbar und deswegen können wir das Risiko nicht eingehen, ihn aus der Therapie zu entlassen.“ Hilsemer wird - wie viele andere auch - nach dem Prozess einen Schlussstrich ziehen können. Die Trauer und die Verarbeitung sind aber nicht vorbei. „Dann beginnt eine andere Stufe der Verarbeitung“, sagt Steinmetz. Die Stiftung Katastrophen-Nachsorge werde weiter Treffen für die Betroffenen anbieten. „Und wir stellen uns darauf ein, dass es nach dem Urteil schnell ein Treffen geben wird, um das alles zu verarbeiten.“ Hilsemer sagt, er denke so oft an seine Schwester. „Sie war so ein lebenslustiger Mensch. Sie wäre bestimmt über 90 geworden.“ Sie und ihr Mann hätten nun einen festen Platz bei ihm zu Hause. „Wenn man bei uns in den Flur kommt, dann steht da ein Foto von ihnen. Aus guten Zeiten. Da gehen wir immer dran vorbei.“

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