Samen Sterk: Auf dem Weg zu einer Wirtschaftspartnerschaft zwischen der Wallonie und Flandern

<p>Dieses Bild zeigt den flämischen Ministerpräsidenten Jan Jambon (N-VA, links) bei einem Treffen mit seinem wallonischen Amtskollegen Elio Di Rupo Ende August 2023 in Namur.</p>
Dieses Bild zeigt den flämischen Ministerpräsidenten Jan Jambon (N-VA, links) bei einem Treffen mit seinem wallonischen Amtskollegen Elio Di Rupo Ende August 2023 in Namur. | Foto: belga

Auf dem Papier ist die Gleichung einfach: die Wallonie steht vor großen Herausforderungen, die mit dem Niveau seiner wirtschaftlichen Aktivität, dem zu geringen Anteil des Privatsektors an der von ihm geschaffenen Wertschöpfung und der unterdurchschnittlichen Leistung seines Arbeitsmarkts zusammenhängen. Andererseits verfügt sie über Freiflächen, eine jüngere Bevölkerung und Arbeitskräfte. Flandern hingegen kann auf eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Europas zählen. Sein Wachstum wird jedoch durch einen Mangel an verfügbarem Land und einen Mangel an Arbeitskräften gebremst. Die Synergiepotenziale scheinen offensichtlich. Doch haben die Wallonie und Flandern die Zusammenarbeit lange Zeit als Illusion betrachtet. Schlimmer noch, beide Regionen glaubten mitunter, dass die Triebfedern für ihr Wachstum ausschließlich jenseits der nationalen Grenzen liegen. Doch auch wenn es auf dem Papier weit hergeholt erscheinen mag, würde eine AWEX-Vertretung in Antwerpen wahrscheinlich einen größeren wirtschaftlichen Ertrag bringen als viele Agenturen im Ausland.

Nach den Regionalwahlen sollte der Aufbau einer neuen Wirtschaftspartnerschaft die Priorität der neuen Exekutiven, insbesondere der wallonischen, sein. Diese würde einen starken Hebel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und eine starke politische Antwort auf die Defätisten bedeuten.

Interregionale Mobilität: Die ewige Herausforderung

Die Mobilität von Arbeitnehmern wird oft als Priorität der Zusammenarbeit zwischen der Wallonie und Flandern genannt. Und das zu Recht: Die potenziellen Gewinne sind enorm. Nach Angaben des Forem pendeln täglich zwischen 45.000 und 65.000 Wallonen zur Arbeit nach Flandern. 20.000 Flamen fahren in die entgegengesetzte Richtung. Das ist schwach, wenn man bedenkt, dass die ehemalige Forem-VDAB-Partnerschaft allein für den Zeitraum 2018-2022 dazu führte, dass 125.000 französischsprachige Arbeitssuchende ein Stellenangebot im Norden des Landes erhielten. Von den rund 40.000 Stellenangeboten, die heute auf der Website des Forem zu finden sind, stammt ein Großteil aus Flandern. Im November 2023 schlossen das Forem und der VDAB übrigens eine neue Vereinbarung, um die Mobilität von Arbeitnehmern nach Flandern zu fördern und die - insbesondere sprachlichen - Kompetenzen von Arbeitssuchenden zu entwickeln.

Auch wenn diese Vereinbarung in die richtige Richtung geht, kann man hieran bemängeln, dass sie keine präzisen und quantifizierten gemeinsamen Ziele enthält. Das Abkommen beschränkt sich auf qualitative Ziele, die eine kontinuierliche Bewertung der Maßnahmen erschweren. Um diesen Mangel zu beheben, hat Flandern beschlossen, sich seine eigenen Ziele zu setzen. Der VDAB strebt an, ab 2024 jährlich 12.500 wallonische Bewerber in den flämischen Arbeitsmarkt einzugliedern, wobei ein jährliches Wachstum von 3 % angestrebt wird. Das ambitiöse Ziel entspricht einer Verdoppelung der Gesamtzahl der in Flandern arbeitenden Wallonen in weniger als vier Jahren! Das Forem und die wallonische Region sollten sich auch ihrerseits schnell mit quantifizierten Ambitionen ausstatten.

Welche Prioritäten für die Zusammenarbeit zwischen den Regionen?

Die neue Wirtschaftspartnerschaft zwischen den beiden Regionen muss jedoch noch weiter gehen, wenn sie von grundlegender Bedeutung sein soll. Auf welche vorrangigen Projekte sollte sie sich konzentrieren? Erstens: Anreize für Investitionen und die Ansiedlung von Unternehmen. Die Wallonie verfügt zum Beispiel über zahlreiche Industriebrachen. Hierbei handelt es sich um hochgradig strategische Standorte. In den letzten Jahrzehnten wurde ihre Umnutzung durch die Ungewissheit über die Kosten für Umweltsanierungen und durch viel zu lange Verwaltungsverfahren behindert. In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor müssen politische und finanzielle Antworten formuliert werden, um flämische Unternehmen dazu zu bewegen, sich dort anzusiedeln. Der nächste Ministerpräsident oder die nächste Ministerpräsidentin muss eine Art Vertreter für die Wallonie von Kortrijk bis Antwerpen sein.

Zweitens: Bildung und Ausbildung. Eine stärkere Bindung zwischen den Regionen wird durch ein besseres Erlernen der Landessprachen erreicht. Die Einführung von Maßnahmen, die mittelfristige Aufenthalte in den Sekundarschulen der anderen Sprachgemeinschaften, Berufspraktika und Lehrlingsausbildungen erleichtern, würde diesem Erfordernis Rechnung tragen, und zwar für Schüler aller Schularten. Diese Maßnahmen könnten mit finanziellen Anreizen verbunden werden. Schließlich müssen die Regionen ihre Zusammenarbeit in weiteren Bereichen verstärken, in denen die derzeitigen Anstrengungen trotz offensichtlicher Fortschritte noch nicht ausreichen. Beispiele hierfür sind die Industriepolitik, Forschung und Entwicklung, Raumplanung oder Wohnungsbau.

Eine starke und kohärente politische Antwort

Der Aufbau gemeinsamer Perspektiven sollte die Priorität der künftigen Exekutivorgane der Regionen und Gemeinschaften sein. Greifbare Ergebnisse würden einen klaren und verbindenden politischen Horizont für unser Land aufzeigen. Sie wären zudem eine starke politische Botschaft an diejenigen, die in der (immer größer werdenden) wirtschaftlichen Divergenz zwischen den Regionen einen unüberwindbaren Horizont sehen.


Valère Piérard und Dorian Feron sind Mitglieder der Freitagsgruppe. Dorian ist Investment Manager bei der Société Fédérale de Participations et d'Investissement (SFPI-FPIM). Die Freitagsgruppe ist eine Denkfabrik der König-Baudouin-Stiftung. Sie vereint junge Menschen aus Belgien mit dem Ziel, sich positiv in die gesellschaftspolitische Entwicklung des Landes einzubringen. 2024 feiert die Freitagsgruppe ihr 10-jähriges Jubiläum. Zahlreiche gesellschaftspolitische Empfehlungen haben die Mitglieder seither an die Politik gerichtet. Hinzu kamen zahlreiche Meinungsbeiträge in den belgischen Tageszeitungen und die Durchführungen eigener Podiumsdebatten. Das GrenzEcho gehört neben „L’Echo“ und „Knack“ zu den Medienpartnern der Freitagsgruppe.

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