Nachtnotizen: Karl Marx und der hl. Josef

Arbeiter-Aufstand, Blutmai, Maiennacht oder Maiglöckchen: Der 1. Mai ist ein zwiespältiger Feiertag. Da wechseln erhobene Fäuste und Frühlingsgefühle. Da werden die „Internationale“ und „Maria Maienkönigin“ gesungen. Vor dem Rest der kommunistischen Diktatoren defiliert bis zu den Zähnen bewaffnetes Militär. Auf der volkstümlichen Pariser Place Gambetta spielen die Musikanten valse musette. Es herrscht die Farbe Rot, auf Maialtären flattert marianisches Blau.

Der eigentliche Anlass, der Arbeiteraufstand für den Achtstundentag 1886 auf dem Haymarket in Chicago, mit 30 Toten und 200 Verletzten, ist kaum noch vorstellbar. In Europa trägt die Linke Nadelstreifen, genießt das Regieren und hat, nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs, jede Aufstandslust verloren. Das Erbe von Marx und Engels wurde archiviert. Aufstehen tun die Genossen nur noch zum Frühstück.

Wie sehr der in Trier geborene Karl Marx auf ein Normalmaß reduziert worden ist, zeigt die Komödie um die Größe seiner von China der Moselstadt geschenkten Statue. Der bärtige Revoluzzer ragte zu hoch über die Römerruinen hinaus und muss jetzt per Stadtratsbeschluss etwas kürzer treten…

Dass Pius XII. mitten im Kalten Krieg den Maifeiertag in einen „Gedenktag Josefs des Arbeiters“ umtaufte, klang wie eine verspätete Reaktion auf die verdrängte soziale Frage. Der heilige Schreiner und die Mutter des Herrn, das war dem Proletariat etwas zu viel Nazareth. Doch auch diese Konflikte sind längst passé. Der „gute Papst“ Johannes und Männer vom Format eines Abbé Pierre oder Kardinal Cardijn wendeten das Blatt. Papst Johannes Paul II. reichte Fidel Castro die Hand.

In Ostbelgien besteht kein Anlass für Aufmärsche. Die Sozis feiern gemütlich mit der roten Nelke. Der Dechant hält Mai-Andachten. Im Mondschein erklingt milde „Die Maiennacht“. Die Junggesellen lassen am Maibaum die Muskeln spielen. Der Tag der Arbeit ist zur Freude aller arbeitsfrei. Die Verliebten umarmen sich besonders zärtlich. Es muss am Wetter liegen.