Philippe Heck über den Biathlon-Sumpf: „Das ist traurig und schockierend“

Musste zurücktreten: Ex-IBU-Präsident Anders Besseberg. | dpa

Der WADA-Report, der der ARD-Dopingredaktion vorliegt, legt nahe, dass Russland mithilfe von Bestechung seit mehr als einem Jahrzehnt im Weltverband IBU quasi Narrenfreiheit genoss.

Nicht nur der Biathlon-Skandal belegt zudem, dass der russische Staatsdopingskandal noch längst nicht ausgestanden ist. Die WADA bestätigte der ARD, dass die Auswertung der Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor 9.000 auffällige Proben ans Tageslicht beförderte, die geschätzt 4.500 Athleten betreffen.

Die WADA hat mittlerweile 60 Sportverbände informiert, die unter WADA-Anleitung die Verdachtsfälle untersuchen sollen. Im vergangenen November war die oberste Anti-Doping-Behörde durch einen Whistleblower an das sogenannten Laboratory Information Management System (LIMS) des Moskauer Kontrolllabors gelangt. Die gigantische Datensammlung beinhaltet alle Testergebnisse zwischen Januar 2012 und August 2015.

Die Behörden, die gegen den mittlerweile zurückgetretenen norwegischen IBU-Präsidenten Besseberg und die deutsche Generalsekretärin Nicole Resch ermitteln, gehen unterdessen nicht nur dem Verdacht nach, dass seit 2011 65 Dopingfälle russischer Biathleten vertuscht worden seien. Die WADA wirft Besseberg vor, dass dieser sich in den vergangenen 15 Jahren von den Russen nach allen Regeln der Kunst hat schmieren lassen.

Von bezahlten Jagdausflügen nach Russland ist die Rede, von der Vermittlung von Prostituierten. Besseberg soll als Gegenleistung unter anderem im Jahr 2016 proaktiv die Vergabe der WM 2021 an die russische Stadt Tjumen forciert haben, obwohl der Staatsdopingskandal gerade den Weltsport erschütterte. Für den Stimmenkauf zugunsten Tjumens, so behauptet die WADA, sollen bis zu 100.000 Euro an Mitglieder des IBU-Boards geflossen sein. Im Februar 2017 zog die IBU die WM-Zusage für Tjumen auf öffentlichen Druck wieder zurück.

„Das ist traurig und schockierend“, erklärte Generalsekretär Philippe Heck gegenüber dieser Zeitung. Im Moment gebe es jedoch keine konkreten Beweise, weshalb man mit Äußerungen und Mutmaßungen vorsichtig sein müsse. „Wir als belgischer Biathlonverband werden uns mit Spekulationen zurückhalten“, so Heck.

Besseberg habe sich gegenüber Russland „unglaublich loyal und unterstützend“ gezeigt, schreibt die WADA. Resch habe im Verband praktisch die alleinige Hoheit über das Doping-Verwaltungsprogramm gehabt und anderen IBU-Mitarbeitern den Zugang verwehrt. Das alles soll unter anderem dazu beigetragen haben, dass in der vergangenen Saison im Welt- und IBU-Cup 17 von 22 russischen Athleten gedopt an den Start gegangen sind – und unbehelligt blieben.

Besseberg hatte sich zuletzt demonstrativ gelassen zu den Vorwürfen geäußert und die WADA attackiert. „Ich habe gehört, die WADA hat die Untersuchungen initiiert. Ich denke, sie sind in einer deprimierenden Situation. Sie haben nur Rodtschenkow als Zeugen und sonst nichts. Und es ist klar, dass ihm niemand glaubt“, sagte Besseberg der norwegischen Tageszeitung Dagbladet: „Ich denke, sie (die WADA; A. d. R.) bekommen ein bisschen Panik.“

Ob sich die WADA bei ihren Vorwürfen tatsächlich ausschließlich auf Aussagen des in die USA geflohenen russischen Whistleblowers Gregorij Rodtschenkow stützt, ist ungewiss. Klar ist dagegen, dass Staatsanwaltschaften in Österreich, Norwegen und Deutschland die Anschuldigungen als seriös genug einstuften, um Hausdurchsuchungen durchzuführen.

Die seit Ende 2017 laufenden Ermittlungen der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien wegen Doping- und Betrugsverdachts sowie Geschenkannahme gegen Besseberg und Resch sowie russische Sportler und Betreuer gehen weiter.

Philippe Heck aus Bütgenbach versicherte indes, dass weder der belgische Biathlonverband noch seine Athleten von dem Skandal betroffen seien und forderte, „dass die ganze Wahrheit ans Tageslicht kommt, denn der Sport verdient das.“ „Und sollten am Ende des Tages Personen davon betroffen sein, muss mit aller Härte und Konsequenz agiert werden“, untermauerte der Generalsekretär. (calü/sid)