Vettel erobert Hamiltons Revier

Sebastian Vettel freute sich diebisch über seinen Sieg in Silverstone. | afp

Mit dem Sieg beim spektakulären Grand Prix in Silverstone hatte der Ferrari-Star soeben eine kleine Heldengeschichte geschrieben – und seinem zweitplatzierten Rivalen Lewis Hamilton damit endgültig ein enorm bitteres Heimspiel beschert.

„Die meisten Menschen hier hätten wohl gerne einen anderen Sieger gesehen“, sagte Vettel, der sich mit Nackenproblemen durch das Rennen gekämpft hatte: „Aber uns ist das wurscht. Wir haben heute den Spieß umgedreht.“

Für Hamilton im Mercedes hatte das Rennen mit einem ganz schwachen Start begonnen, wenige Kurven später wurde er vor rund 120.000 britischen Fans ausgerechnet von Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari von der Strecke gerammt und musste sich zurückkämpfen.

Hamilton sprach im Anschluss so wenig wie möglich, was er sagte, barg allerdings reichlich Zündstoff. „Das ist eine interessante Strategie von Ferrari“, erklärte der Brite und nahm gleich Bezug auf das Frankreich-Rennen vor wenigen Wochen. Damals hatte Vettel in der ersten Kurve einen Unfall mit Valtteri Bottas im anderen Silberpfeil verursacht.

„Es waren jetzt zwei Rennen, in denen Ferrari einen Mercedes rausgehauen hat“, legte Hamilton nach: „Das hat uns viele Punkte gekostet. Vielleicht müssen wir einfach schauen, dass wir vom Start weg vorne sind, damit wir gar nicht erst in solche Situationen kommen können.“ Auch laut Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff stellte man sich bei den Silberpfeilen die Frage, ob es sich um „Absicht oder Dummheit“ handle und fügte an: „Jetzt müssen wir uns ein Urteil bilden.“

Vettel saß auf der Pressekonferenz gleich neben Hamilton, und er wollte sich auf derartige Diskussionen nicht einlassen. „Es ist albern, zu denken, dass irgendetwas absichtlich passiert ist“, sagte der 31-Jährige: „Ich finde es unnötig, das überhaupt anzudeuten.“ Räikkönen erhielt für seine in der Tat höchst riskante Aktion eine Zehn-Sekunden-Strafe, wurde am Ende aber noch Dritter vor Bottas. Nico Hülkenberg im Renault holte einen starken sechsten Rang.

Vettel reist nun mit acht Punkten Vorsprung auf Hamilton zu seinem Heimspiel nach Hockenheim (22. Juli) – dabei hatte vor dem „Auswärtsspiel“ in Silverstone vieles gegen ihn gesprochen. Im freien Training hatte ein Zwischenfall für „große Schmerzen“ gesorgt, „vielleicht eine komische Bodenwelle oder eine ungewöhnliche Lenkbewegung“, sagte Vettel. Seine Physiotherapeuten machten ihn fit genug für das Qualifying und Startplatz zwei.

Damit Vettel derart angeschlagen die mehr als 300 Rennkilometer überstehen konnte, überließ Ferrari nichts dem Zufall. Mit Kinesio-Pflastern auf beiden Seiten des Nackens stieg Vettel in sein Auto, zudem wurde die Cockpitumrandung auf allen Seiten ausgepolstert. Das Ziel: Vettels Kopf so gut wie möglich zu fixieren, um die Nackenmuskulatur zu entlasten.

„Ich hatte vorher Bedenken, ob ich das Rennen würde beenden können“, sagte Vettel, „aber mit all dem Adrenalin ging es dann sehr gut.“ Und wahrscheinlich wurden beim Deutschen zu Beginn des Rennens auch ein paar Glückshormone ausgeschüttet. Denn Hamilton kam von der Pole Position überhaupt nicht gut weg, und Vettel zog mit einem starken Start locker am Konkurrenten vorbei.

Der musste sich nun mit Räikkönen herumschlagen, der Finne verbremste sich und schoss Hamilton von der Strecke, der damit ans Ende des Feldes zurückfiel. Der Brite steckte allerdings nicht auf. Schon nach zwölf Runden lag er auf dem sechsten Rang.

An der Spitze kontrollierte Vettel das Rennen mit einigem Vorsprung – doch dann krachte Sauber-Pilot Marcus Ericsson heftig in die Streckenbegrenzung, das Safety Car rückte aus. Anders als Ferrari und Red Bull verzichtete Mercedes nun bei beiden Piloten auf einen Reifenwechsel, das Feld wurde durcheinander gemischt. Bottas führte dicht vor Vettel und Hamilton.

Was folgte, war die großartigste Schlussphase der laufenden Saison. Bottas vor Vettel vor Hamilton vor Räikkönen, in dieser Reihenfolge rasten die beiden Topteams durch die letzten Runden, um jede Position wurde hart gekämpft – und Vettel schob sich mit einem spektakulären Manöver auf Rang eins. „Grande, Seb!“, brüllte sein Renningenieur in den Funk. Die Heldengeschichte war geschrieben.

Der Belgier Stoffel Vandoorne (McLaren) startete aus der neunten Startreihe und wurde Zwölfter und damit vier Ränge hinter seinem spanischen Mannschaftsgefährten Fernando Alonso, der so in die Punkte fuhr.

Formel-1-WM, Großer Preis von Großbritannien: 1. Sebastian Vettel (Deutschland) Ferrari 1:27:29,784 Stunden (Durchschnittsgeschwindigkeit: 209,972 km/h), 2. Lewis Hamilton (Großbritannien) Mercedes 2,264 Sekunden zurück, 3. Kimi Räikkönen (Finnland) Ferrari 3,652, 4. Valtteri Bottas (Finnland) Mercedes 8,883, 5. Daniel Ricciardo (Australien) Red-Bull-Renault 9,500, 6. Nico Hülkenberg (Deutschland) Renault 28,220, 7. Esteban Ocon (Frankreich) Force-India-Mercedes 29,930, 8. Fernando Alonso (Spanien) McLaren-Renault 31,115, 9. Kevin Magnussen (Dänemark) Haas-Ferrari 33,188, 10. Pierre Gasly (Frankreich) Toro-Rosso-Honda 34,129, 11. Sergio Perez (Mexiko) Force-India-Mercedes 34,708, 12. Stoffel Vandoorne (Belgien) McLaren-Renault 35,774,13. Lance Stroll (Kanada) Williams-Mercedes 38,106, 14. Sergej Sirotkin (Russland) Williams-Mercedes 48,113, sechs Runden zurück: 15. Max Verstappen (Niederlande) Red-Bull-Renault – ausgeschieden: Carlos Sainz jr. (Spanien) Renault (Unfall/37. Runde), Romain Grosjean (Frankreich) Haas-Ferrari (Unfall/37. Runde), Marcus Ericsson (Schweden) Sauber-Ferrari (Unfall/31. Runde), Charles Leclerc (Monaco) Sauber-Ferrari (Defekt/18. Runde), Brendon Hartley (Neuseeland) Toro-Rosso-Honda (Technik/1. Runde); schnellste Rennrunde: Vettel (47.) 1:30,696 Minuten (Durchschnittsgeschwindigkeit: 233,831 km/h)

WM-Stand: 1. Sebastian Vettel (Deutschland) Ferrari 171 Punkte, 2. Lewis Hamilton (Großbritannien) Mercedes 163, 3. Kimi Räikkönen (Finnland) Ferrari 116, 4. Daniel Ricciardo (Australien) Red-Bull-Renault 106, 5. Valtteri Bottas (Finnland) Mercedes 104, 6. Max Verstappen (Niederlande) Red-Bull-Renault 93, 7. Nico Hülkenberg (Deutschland) Renault 42, 8. Fernando Alonso (Spanien) McLaren-Renault 40, 9. Kevin Magnussen (Dänemark) Haas-Ferrari 39, 10. Carlos Sainz jr. (Spanien) Renault 28, 11. Esteban Ocon (Frankreich) Force-India-Mercedes 25, 12. Sergio Perez (Mexiko) Force-India-Mercedes 23, 13. Pierre Gasly (Frankreich) Toro-Rosso-Honda 19, 14. Charles Leclerc (Monaco) Sauber-Ferrari 13, 15. Romain Grosjean (Frankreich) Haas-Ferrari 12, 16. Stoffel Vandoorne (Belgien) McLaren-Renault 8, 17. Lance Stroll (Kanada) Williams-Mercedes 4, 18. Marcus Ericsson (Schweden) Sauber-Ferrari 3, 19. Brendon Hartley (Neuseeland) Toro-Rosso-Honda 1

Teamwertung: 1. Ferrari 287, 2. Mercedes 267, 3. Red Bull-TAG Heuer 199, 4. Renault 70, 5. Haas-Ferrari 51, 6. Force India-Mercedes 48, 7. McLaren-Renault 48, 8. Toro Rosso-Honda 20, 9. Sauber-Ferrari 16, 10. Williams-Mercedes 4 (sid)