Ehepaar aus Eupen macht spontanen Abstecher zu den Roten Teufeln

René Offermann (ganz links) und Chantal Fijalkowski (ganz rechts) posierten mit Ecuadorianern vor dem Krestowski-Stadion in St. Petersburg. | privat



Mit gemischten Gefühlen aus Stolz und Wehmut sitzen wir am Tag nach der 0:1-Niederlage am Petersburger Flughafen Pulkovo. Der Rückflug nach Brüssel ist hilflos überbucht. Aber irgendwie werden wir schon nach Hause kommen. Wir, das sind meine Frau und ich. Doch der Reihe nach.

Es ist Sonntag, und soeben habe ich auf der FIFA-Website noch zwei Tickets für das große Spiel ergattert. Doch wie kommen wir nach Sankt-Petersburg? Sämtliche Flüge sind ausgebucht. Schließlich werde ich fündig: Über Köln, München und Prag geht es nach Russland. Na hoffentlich hat kein Flieger Verspätung…

Mit Google Translate den Weg weisen – das klappt nicht wirklich.

Mit einer Aeroflot-Maschine landen wir auf russischem Boden. Unser elektronischer Fan-Ausweis dient als vorläufiges Visum, muss aber in der Stadt gegen ein offizielles Exemplar eingetauscht werden. Die russischen Einreisebehörden nehmen es genau. Bei mir fehlt der zweite Vorname auf der Fan-ID, ein Flüchtigkeitsfehler bei der Online-Buchung, aber Ordnung muss sein. Tief durchatmen, nach 20 Minuten ist der Fall erledigt. Dann ein flüchtiger Blick, nanu, die junge Dame im Ankunftsbereich kenne ich aus Eupen. Ein kurzes Hallo – wie klein die Welt doch ist.

Hinter der Ausweiskontrolle wartet meine Frau mit zwei weiteren Belgien-Fans im Schlepptau. Einer davon ist Alice, in Tränen aufgelöst. Nach einer wahren Odyssee via Zürich hat sie es nach Sankt-Petersburg geschafft, aber ihren Freund halten die Einreisebehörden seit zwei Stunden fest. Ich muss schlucken, Glück gehabt. Wir ahnen noch nicht, dass sich unsere Wege am Stadion noch einmal kreuzen werden.

Unser neuer Weggefährte ist Pieter aus Antwerpen. Das russische Flughafen-Personal ist sehr bemüht, mit den Englischkenntnissen hapert es jedoch. Schließlich bringen wir in Erfahrung, dass unsere Tickets am FIFA-Schalter im Flughafen ausgedruckt werden können. Damit sparen wir uns schon mal einen Weg durch die Stadt und müssen nur noch zur Fan-Akkreditierung. Im Shuttle-Bus kommen wir mit Pieter ins Gespräch. Er ist Steuerberater und zu seinen Klienten zählen doch tatsächlich Toby Alderweireld und Thomas Meunier. Prompt steigen wir an der falschen Haltestelle aus – Moskovskaya statt Mayakovskaya. Die kyrillischen Schriftzeichen sind da auch keine Hilfe.

In der Akkreditierungsstelle dauert es keine fünf Minuten, bis wir unsere Fan-Ausweise in der Tasche haben. Wir verabschieden uns von Pieter und ziehen weiter zu unserer AirBnB-Unterkunft.

Bemühtes Personal in einem Frisiersalon will uns mittels Google Translate den Weg weisen – das klappt aber nicht wirklich, sorgt jedoch für allgemeines Gelächter. Auf Umwegen finden wir die Wohnung. Inzwischen ist es 19 Uhr, noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. In voller Belgien-Montur brechen wir zum Stadion auf. Auf der Straße werden wir neugierig von den Einheimischen beäugt – die Russen scheinen mit der WM schon abgeschlossen zu haben.

Spätestens in der U-Bahn herrscht dann wieder Fußball-Fieber. Wir posieren mit Fans aus aller Herren Länder. Insbesondere eine Gruppe Ecuadorianer will uns gar nicht mehr ziehen lassen. Dabei sind wir doch mit einem Bekannten auf ein Bier im Stadion verabredet. Prompt werden wir von einem russischen TV-Sender auf Englisch zur Partie interviewt. Auf den letzten Treppenstufen zum Stadion treffen wir Alice wieder. Sie ist überglücklich mit ihrem Freund vereint. Beide werden gerade von einem RTBF-Kamerateam interviewt. Ende gut, alles gut.

Dieser positive Wink des Schicksals lässt sich leider nicht auf den Spielausgang übertragen. Wir hoffen, bangen und zittern mit. Die Minuten verrinnen, doch den Roten Teufeln fehlen Kreativität und Zielstrebigkeit im Spiel nach vorne. Die Franzosen verwalten abgebrüht. Der Rest ist Geschichte. Nur schwer können wir uns vom Ort des Geschehens trennen und saugen die WM-Stimmung im Stadion auf, während der Tricolore-Anhang auf der anderen Tribünenseite lauthals feiert.

Das Fußball-Trikot von Kevin De Bruynewird nicht getauscht.

Ein Argentinien-Fan will mir im Tausch für mein De-Bruyne-Shirt sein Messi-Trikot andrehen. Ich lehne dankend ab, auch wenn Kevin nicht gerade seinen besten Tag hatte. Wir lassen uns in der breiten Masse zur U-Bahn-Haltestelle treiben. Unter den nervösen Blicken russischer Einsatzkräfte stimmen hunderte Brasilianer ihre Fangesänge an. Andere ahmen es ihnen nach. Anfeindungen sind da Fehlanzeige. Auf ein derart spontanes Happening von Fans aus aller Welt scheinen die Ordnungshüter nicht vorbereitet zu sein.

In der Innenstadt spülen wir unseren Frust mit einem Glas hinunter und treffen auf einen Belgo-Brasilianer nebst Begleitung. Er hat nun doppelten Grund zum Katzenjammer. Ich tausche meinen Belgien-Kopfschmuck gegen eine Brasilien-Kappe. Während wir um 1 Uhr bei einem weiteren Glas noch über das Spiel fachsimpeln, rauscht doch draußen mit Polizei-Eskorte und Blaulicht tatsächlich der französische Mannschaftsbus vorbei. Einfach nicht aufzuhalten, diese Franzosen…

Nichtsdestotrotz bereuen wir unsere spontane Entscheidung keine einzige Minute. Der Stolz auf unsere Mannschaft überwiegt, auch wenn die magische Fußballnacht in Rot ausgeblieben ist.