N’Golo Kante: Der Mann mit den 15 Lungen

N’Golo Kante (links) und Chelsea-Kollege Eden Hazard kämpfen um den Ball. Der Franzose ist der Abfangjäger der Équipe tricolore und im Finale für Trainer Didier Deschamps unverzichtbar. | afp

Wenn es gilt, die Stärken dieses kleinen, unscheinbaren Abräumers im französischen Mittelfeld zu beschreiben, werden die Menschen kreativ. Paul Pogba etwa sagt über seinen Nebenmann, er habe 15 Lungen. Die anderen Kollegen im Team des WM-Finalisten scherzen: N’Golo Kante habe nach dem Viertelfinale gegen Uruguay den Flug zurück nach Moskau sausen lassen und sei stattdessen lieber zurückgerannt.

Für Eden Hazard ist Mannschaftskollege Kante „auf seiner Position der Beste der Welt“.

Den kompakten Kante (27) nur auf seine Laufstärke zu reduzieren, wird der zentralen Figur im Team der Équipe tricolore jedoch nicht im Ansatz gerecht. Arsene Wenger, mit dem FC Arsenal in der Premier League ein ums andere Mal an Kantes FC Chelsea gescheitert, nennt seinen Landsmann „einen der einflussreichsten Mittelfeldspieler, die ich je habe Fußball spielen sehen“. Für Belgiens Eden Hazard, der Kante bei Chelsea täglich im Training sieht, ist er „auf seiner Position der Beste der Welt“.

Das musste Hazard im Halbfinale selbst schmerzhaft erfahren. Er wusste, welche Gefahr auf seine Roten Teufel zukommt, Hazard fürchtete nicht Supersprinter Kylian Mbappe oder Zauberfuß Antoine Griezmann. N’Golo Kante, dessen Wirken so selten Aufmerksamkeit erregt, war sein Angstgegner. Er sollte Recht behalten. Dass die beste WM-Offensive beim 0:1 in St. Petersburg nach der Pause harmlos wirkte, war zu großen Teilen dem nur 1,68 m großen Kante zuzuschreiben.

„Wenn er in Form ist, hast du eine 95 prozentige Chance zu gewinnen“, hatte Hazard schon vor dem direkten Duell dem Sender beIN-Sports gesagt. Was eine schlechte Nachricht für seine Belgier war, dürfte in der Grande Nation großen Anklang finden. Kante ist vor dem Endspiel am Sonntag (17 Uhr) gegen Kroatien in der Form seines Lebens, anders als im Finale der Heim-EM 2016 gegen Portugal (0:1 n.V.) wird Trainer Didier Deschamps nicht mehr auf seinen Abfangjäger verzichten.

Das Spiel im Moskauer Luschniki-Stadion ist der Höhepunkt eines rasanten und steilen Aufstiegs, der ganz unten in einem der berüchtigten Banlieues vor Paris begann. Dort wuchs Kante mit acht Geschwistern auf. Sein Vater, der aus Mali kam, schlug sich als Müllmann durch und starb früh. N’Golo Kante verfolgte unbeirrt seinen Weg, auch wenn der ihn durch die Niederungen des französischen Fußballs führte. Erst mit 23 Jahren debütierte er beim SM Caen in der ersten Liga, von da an ging es jedoch in jenem unheimlichen Tempo weiter, das Kante auf dem Rasen auf den ersten Metern anschlägt. 2016 englischer Meister mit Leicester City, 2017 mit dem FC Chelsea, zudem derart spielbestimmend, dass Kante sowohl in Frankreich als auch England zum Fußballer des Jahres gewählt wurde. In seiner einen Saison bei Leicester hatten sich die Fans hoffnungslos in Kante verliebt – und ihm zu Ehren einen Witz kreiert, aus dem alle Anerkennung für seine Leistungen spricht: „Zwei Drittel der Erde werden von Wasser abgedeckt“, erzählten sie sich: „Das übrige Drittel von N’Golo Kante.“ (sid)