Auswirkungen möglichst abfedern

AdR-Präsident Karl-Heinz Lambertz und Michel Barnier, Chefunterhändler der EU für den Brexit. | AdR



Ferner plädierten sie Ende der vergangenen Woche dafür, über den EU-Haushalt die Regionalwirtschaften zu fördern. Diese Forderungen wurden im Laufe einer Debatte mit Michel Barnier im Ausschuss der Regionen (AdR) in Brüssel laut. Gleichzeitig wurde dem Chefunterhändler der EU für die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich Anerkennung dafür gezollt, dass es ihm gelungen ist, ein Abkommen auszuhandeln, das die Risiken für die EU und vor allem für die Republik Irland in Grenzen halte, und dass er in den Verhandlungen ein offenes Ohr für die Belange der Städte und Regionen gehabt habe.

Lambertz: „Aus dem Brexit werden keine Gewinner hervorgehen, und die EU muss nun ihr Möglichstes tun, um den Schaden gering zu halten.“

„Das Austrittsabkommen stellt die bestmögliche, aus einem komplizierten Verhandlungsprozess hervorgegangene Kompromisslösung dar. Die Auswirkungen werden jedoch in den Regionen der gesamten EU-27 und des Vereinigten Königreichs deutlich zu spüren sein“, meinte der AdR-Vorsitzende Karl-Heinz Lambertz. „Aus dem Brexit werden keine Gewinner hervorgehen, und die EU muss nun ihr Möglichstes tun, um den Schaden gering zu halten. In die Vorbereitungen müssen alle Regierungsebenen einbezogen werden. Die EU muss sich jetzt auf einen ehrgeizigeren langfristigen Haushalt einigen, und zwar noch vor den anstehenden Europawahlen, um Unsicherheit auszuräumen“, fügte der Gemeinschaftssenator hinzu. Auch in Belgien werde man die Auswirkungen spüren: 20.000 Arbeitsplätze in der Wallonie und 72 000 in Flandern hingen zurzeit von den belgischen Exporten ins Vereinigte Königreich ab, machte Lambertz deutlich: „Hinter Deutschland und Irland ist Belgien eines der Länder, das wirtschaftlich am stärksten vom Brexit betroffen ist.“ EU-Chefunterhändler Barnier bezeichnete seinerseits das Abkommen als ausgewogen und als „das einzig mögliche und das beste, das wir kriegen können. Es wahrt die Grundsätze der EU, ohne die vom Vereinigten Königreich gezogenen roten Linien zu überschreiten. Wir haben vereinbart, dass alle von den 28 Mitgliedstaaten im EU-Programmplanungszeitraum 2014–2020 eingegangenen Verpflichtungen auch von den 28 Mitgliedstaaten eingehalten werden, so dass finanzielle Stabilität gewährleistet ist. Das Abkommen sichert einen fairen Wettbewerb und bewahrt die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Städten, Regionen oder Hochschulen im Vereinigten Königreich. Es hält die wirtschaftliche Dynamik unserer Regionen aufrecht, von denen einige enge Handelsbeziehungen zum Vereinigten Königreich pflegen. Ohne Ratifizierung wird es jedoch kein Austrittsabkommen und auch keinen Übergangszeitraum geben. Ein solches No-Deal-Szenario kann nicht ausgeschlossen werden, und deshalb müssen sich alle Regionen und Städte dafür rüsten“, machte er klar.

Denn: Bei der Abstimmung zum Brexit in London am Dienstag dürfte Premierministerin Theresa May eine Schlappe erleiden. Ihre Arbeitsministerin Amber Rudd hat sich vor diesem Hintergrund für das Norwegen-Plus-Modell oder ein zweites Referendum als Alternativen zu den bisherigen Brexit-Plänen ausgesprochen. Sollte das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen zum EU-Austritt im Londoner Parlament durchfallen, könnte das Norwegen-Plus-Modell der Plan B sein, sagte Rudd am Samstag dem Sender BBC und der Zeitung „The Times“. Kein anderer Minister hat sich zuvor so öffentlich zu diesem Modell bekannt. Großbritannien will Ende März 2019 die Staatengemeinschaft verlassen. Beim Norwegen-Plus-Modell würde Großbritannien im Europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben. Das Norwegen-Plus-Modell könnte eine fraktionsübergreifende Mehrheit im Parlament bekommen. Norwegen ist Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), aber nicht in der EU. Großbritannien könnte zusätzlich eine Zollunion mit Brüssel beschließen – also Norwegen plus. Bei Kritikern ist diese Lösung als zu weicher Brexit verschrien. Sie fürchten, dass nahezu alles beim Alten bleibt, auch die Personenfreizügigkeit. Es gilt zurzeit als unwahrscheinlich, dass das Parlament am kommenden Dienstag in London für das Brexit-Abkommen von Premierministerin Theresa May stimmt. Rudd betonte, dass sie zwar weiterhin das Abkommen unterstütze. Ein „No Deal“ könne aber ein Chaos in Großbritannien auslösen, sagte die Ministerin der BBC. Daher müsse man über Alternativen nachdenken. Dazu zähle auch ein zweites Referendum. Sie selbst würde in einem solchen Fall für den Verbleib in der Europäischen Union stimmen. Ihre persönliche Ansicht habe sich inzwischen nicht geändert, betonte Rudd in der „Times“. (dpa/red)