Wie das schier endlose Brexit-Drama ausgehen könnte

Befürworter des Brexit im Londoner Regierungsviertel in dieser Woche. | afp



Vor vier Wochen noch machte Donald Tusk eine strenge Ansage. „Die Stunde der Wahrheit in den Brexit-Verhandlungen wird der EU-Gipfel im Oktober“, sagte der EU-Ratschef Mitte September nach einem mit Spannungen und Missverständnissen beladenen Treffen in Salzburg. Jetzt ist die Stunde da. Aber die Wahrheit ist: Vor dem EU-Gipfel am Mittwoch fehlte der geforderte „maximale Fortschritt“.

Seit mehr als einem Jahr feilen die Unterhändleran einem Abkommen.

Es geht um nicht weniger als die Frage, ob und wie ein chaotischer Bruch am Brexit-Tag 29. März 2019 zu vermeiden ist. Seit mehr als einem Jahr feilen die Unterhändler der EU und Großbritanniens an einem Abkommen, das den Austritt regelt und erstmal eine Übergangsfrist ohne große Änderungen bis Ende 2020 verspricht. Der Deal steht auf der Kippe – auch weil die britische Premierministerin Theresa May in Großbritannien für keine denkbare Brexit-Lösung genügend Rückhalt zu haben scheint. Es gibt einige plausible Szenarien:

Wenn man sich einigt: Ein einziger wirklicher Knackpunkt blockiert seit Monaten eine Einigung: die irische Grenze. Das EU-Mitglied Irland will keinesfalls zurück zu den vor 20 Jahren abgebauten Schlagbäumen an der heute fast unsichtbaren Trennlinie zum britischen Nordirland, aus Angst vor neuer Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion. Doch wie Zoll- und Warenkontrollen vermeiden an einer neuen EU-Außengrenze? Lösungsvorschläge gibt es von beiden Seiten, nur sind sie bisher unvereinbar. Kommt es wirklich zu einer tragfähigen Lösung, wäre der Weg wohl frei für das Best-Case-Szenario: Bei einem EU-Sondergipfel Mitte November werden der Austrittsvertrag und eine „politische Erklärung“ zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien abgesegnet. Stimmen dann das Europaparlament und das britische Parlament zu, kommt nach dem 29. März die versprochene Übergangsphase, in der sich praktisch nichts ändert. In der Zeit könnte man eine enge Partnerschaft aushandeln und fortan in guter Nachbarschaft leben.

Wenn fast alles gut geht, aber: Der Idealfall ist deshalb so unwahrscheinlich, weil er die britische Innenpolitik ausspart. „Jeder Ausgang der Verhandlungen droht (…) eine politische Krise in Großbritannien auszulösen, wodurch die Gefahr eines ungeordneten Austritts weiter steigt“, schreibt Fachmann Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik. May bekommt bei jedem Kompromissversuch kontra – nicht nur von harten Brexiteers in der eigenen konservativen Partei, sondern auch von der nordirischen Protestantenpartei DUP, die der Regierung im Parlament die Mehrheit sichert. Entzieht sie May die Unterstützung, müsste die Regierungschefin auf die Labour-Opposition hoffen, zumindest auf einige Abweichler.

Wenn es schief geht: Die Premierministerin hat deutlich gemacht, dass die Parlamentarier in Westminster nur die Wahl zwischen ihrem Deal haben oder keinem – vorausgesetzt, May bringt mit der EU einen zustande. Das heißt: Die Abgeordneten stimmen entweder zu oder nehmen die Verantwortung eines chaotischen Bruchs auf sich. May erhöht den Druck und lockt zugleich mit der Übergangsfrist, in der man alles noch im Sinne Großbritanniens regeln könnte.

Man versucht es nochmal: Heute sind es immer noch mehr als fünf Monate bis zum Brexit-Tag – Zeit für die weitere Suche nach Lösungen. Der Politikwissenschaftler Simon Usherwood von der Universität Surrey glaubt, dass noch bis Ende des Jahres Zeit dafür wäre. Selbst wenn kein komplettes Austrittsabkommen mehr möglich wäre, könnte man versuchen, mit Einzelvereinbarungen einige dramatische Auswirkungen – wie den Zusammenbruch des Flugverkehrs – abzufedern. Zölle und Kontrollen an den Grenzen wären aber wohl unumgänglich. Auch Millionen von EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in der EU würden in Ungewissheit über ihre Rechte und Ansprüche gestürzt. Möglich wäre auch, die Austrittsverhandlungen offiziell zu verlängern. Allerdings ginge dies nur auf britischen Antrag mit Billigung des Parlaments und nur mit Zustimmung aller 27 anderen EU-Staaten.

Alles auf Anfang: Gibt es noch einen Weg zurück – den Exit vom Brexit? EU-Ratschef Tusk und andere haben immer wieder gesagt, die Tür bleibe offen. Und in Großbritannien gibt es seit Monaten anschwellende Rufe nach einem zweiten Referendum. Die oppositionelle Labour-Partei hält sich die Option offen. Auch die Schottische Nationalpartei und die Liberalen dürften mitziehen. Mithilfe einiger EU-freundlicher Konservativer könnte es dafür theoretisch eine Mehrheit geben.