Österreichs Bundeskanzler Kurz geht mit Rückenwind ins zweite Jahr

Sebastian Kurz (ÖVP, rechts), Bundeskanzler von Österreich, im Mai bei einem Empfang von Arnold Schwarzenegger, Schauspieler und ehemaliger Gouverneur von Kalifornien, im Bundeskanzleramt in Wien. | Georg Hochmuth/APA/dpa

Das Schulterklopfen von Arnold Schwarzenegger kommt gelegen. „Ich bin so stolz auf dich“, schwärmte der 71-Jährige in einer Videobotschaft an Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Der Anlass: Österreich will als eines der ersten Länder Europas ab 2020 Plastiktüten verbieten. „Zieh das durch!“, gab „Arnie“, der umweltbewusste Ex-Gouverneur von Kalifornien, dem 32 Jahre alten Kanzler mit auf den Weg. Und selbst der „New York Times“ war der Öko-Schritt in Österreich ein paar Agenturzeilen wert. Internationale Aufmerksamkeit galt der Regierung aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ in Wien bisher meist dann, wenn sie ihren Anti-Migrations-Kurs verschärfte oder sich im Fall der FPÖ der Verdacht antisemitischen und rassistischen Gedankenguts zu erhärten schien.

Ein Jahr nach dem Start am 18. Dezember 2017 probt das Bündnis die Aufstockung der Agenda. „Die Regierung braucht 2019 jedenfalls mehr Breite bei den Themen“, empfahl das nicht auffällig regierungskritische Gratisblatt „Österreich“. Pflege, Steuerreform und Digitalisierung sind die neuen Stichworte, mit denen Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) das nächste Jahr prägen wollen. Zum bisherigen Dauerthema Migration präsentierte Europas nach wie vor jüngster Regierungschef bei der gemeinsamen Bilanz-Pressekonferenz die Formel „Wir wollen Ordnung statt Chaos“. Ein Gegensatzpaar, dem in seiner fast allgemeinen Gültigkeit kaum jemand widersprechen kann. Die neue Agenda soll der sich erst langsam sortierenden Opposition schon früh Wind aus den Segeln nehmen. Die Sozialdemokraten der SPÖ haben die „soziale Kälte“ der rechtskonservativen Koalition als offene Flanke ausgemacht. Die Steuerreform mit einem angestrebten Entlastungseffekt von fünf Milliarden Euro solle vor allem kleinen und mittleren Einkommen zugutekommen, verspricht Kurz. Getragen von einer sich nur langsam abschwächenden Hochkonjunktur kann die Regierung darüber hinaus erstmals seit Jahrzehnten mit einem Nulldefizit im Staatshaushalt rechnen. Gegenwind verspürte Schwarz-Blau im ersten Jahr am ehesten beim gekippten Rauchverbot in der Gastronomie, bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit – jetzt sind Zwölf-Stunden-Tage möglich – und der Neugestaltung der Mindestsicherung.

Für anerkannte Asylbewerber soll es nur dann die volle Höhe von 832 Euro im Monat geben, wenn sie ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen. Außerdem wurde das Kindergeld ab dem vierten Kind merklich gekürzt, was bei den Sozialverbänden für großes Kopfschütteln sorgte. „Man sagt, es geht um Fremde, und in Wahrheit wird es alle treffen“, so Caritas-Präsident Michael Landau im ORF. Dass das Thema Brisanz hat, zeigte das vergangene Wochenende: 17.000 Menschen gingen in Wien gegen die Regierungspläne auf die Straße.

Der Umbau der sozialen Sicherung, die ausdrücklich den Anreiz zur Annahme eines Jobs erhöhen soll, erinnert den Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer vom Institut OGM an eine der umstrittensten Reformen überhaupt in Deutschland. „Da ist etwas im Gange, das der Hartz-IV-Regelung nicht so unähnlich ist.“

Die Umfragewerte für Kurz und die ÖVP sind beachtlich. Im Vergleich zur Wahl 2018 legte die ÖVP noch ein paar Prozentpunkte auf rund 35 Prozent zu. Die FPÖ hält sich aktuell bei rund 24 Prozent – etwa gleichauf mit der SPÖ. Das Vertrauen in Kurz persönlich ist ungebrochen. Er führt das entsprechende Polit-Barometer mit einem Wert von plus 25 einsam an, weit dahinter folgen Bundespräsident und Finanzminister. Strache kommt auf einen Wert von nur minus neun. Aus Sicht von Bachmayer vermittelt die Regierung mit ihren Reformen, über die man im Detail streiten könne, vor allem eine in Österreich lange vermisste Handlungsfähigkeit. Es sei eine Zeit ohne Streit, Blockade und Stillstand, so der Meinungsforscher. Die SPÖ als größte Oppositionskraft hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Ex-Kanzler und Parteichef Christian Kern fand sich in seiner neuen Rolle nie wirklich zurecht, und sein Abgang auf Raten im Herbst brachte seine Partei arg in Bedrängnis.

Wahl von Rendi-Wagner zur neuen Vorsitzenden der SPÖ wirkte wie ein Startsignal auf dem Weg zur Rückkehr an die Macht.

Die Wahl der telegenen und kämpferischen Ärztin Pamela Rendi-Wagner zur neuen SPÖ-Vorsitzenden wirkte wie ein Startsignal auf dem Weg zur Rückkehr an die Macht. Und SPÖ-Vizechef Andreas Schieder ortet schon hoffnungsfroh erste Risse unter der Oberfläche der angeblich so reibungslosen Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ. „Die SPÖ ist mit der Personalie Rendi-Wagner wieder im Spiel“, räumen auch ÖVP-Kreise ein. Wirklich bedroht sei die Koalition aber vor allem dann, wenn sich die FPÖ rassistische Eskapaden erlaube, heißt es – wie im Fall eines YouTube-Videos mit einem als Sozialschmarotzer dargestellten Ausländer. „Wenn die FPÖ über die Stränge schlägt, ist es Aus“, so ein Insider.

Spannung verspricht der Wahlkampf vor der Europawahl im nächsten Frühjahr. Die Zeitung „Kurier“ fragt: „Wird Kurz die Grätsche zwischen einem EU-feindlichen FPÖ-Wahlkampf und seiner eigenen, proeuropäischen Partei hinbekommen?“ Aus Sicht des Politik-Analysten Bachmayer sollte aber keiner von einer wirklichen Belastungsprobe ausgehen. „Manche Dissonanzen werden Teil einer gut geplanten Choreographie sein. Da wird es manchmal knallen, aber keiner tut sich wirklich weh.“ (dpa)