Hitlerbiograf: Demokratie kann aus den Angeln gehoben werden

Adolf Hitler (Mitte) bei der Eröffnung der Olympischen Spiele am 1. August 1936 in Berlin. | dpa

Adolf Hitler – ein Unfall in der Geschichte? Der Hitlerbiograf Volker Ullrich sieht keinen Bruch. „Hitlers Herrschaft stand in der Kontinuität der deutschen Geschichte, und sie bedeutete zugleich eine fundamentale Zäsur“, schreibt der Wissenschaftler im zweiten Band seiner Hitlerbiografie „Adolf Hitler. Die Jahre des Untergangs 1939-1945“. Mit Blick auf das Nazi-Regime warnt Ullrich davor, angesichts nationalistischer Tendenzen in Europa und populistischer Agitation die Augen zu verschließen.

„Die ersten anfänglichen, schnellen militärischen Erfolge der Deutschen blieben nicht ohne Wirkung auf Hitlers Ego.“

Wenn der „Fall Hitler“ etwas lehre, dann dies: „Wie rasch eine Demokratie aus den Angeln gehoben werden kann, wenn die politischen Institutionen versagen und die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu schwach sind, um der autoritären Versuchung zu begegnen.“ Die Decke sei dünn, welche die Zivilisation von der Barbarei trenne. Er lehre auch, wozu Menschen fähig seien, wenn alle rechtsstaatlichen und moralischen Normen außer Kraft gesetzt werden.

Ullrich beschreibt in 18 Kapiteln die letzten sechs Jahre des Regimes, die Hochgefühle, die Siegeseuphorie und die Selbstüberschätzung nach den ersten militärischen Erfolgen, den Weg in den Holocaust, den Widerstand und Niedergang des Regimes bis hin zu Hitlers Selbstinszenierung des Untergangs. Er entwirft in einer über weite Strecken gut lesbaren Biografie mit vielen zeitgenössischen Stimmen ein stark Hitler-zentriertes Bild, setzt einen starken Schwerpunkt auf das Verhältnis des Diktators zur militärischen Elite, allerdings ohne großen neuen Erkenntnisgewinn.

Hitler wollte den Krieg, ist sich Ullrich sicher. „In ihm verdichtete sich, wie in einem Brennspiegel, die kriminelle Dynamik des NS-Regimes und des Mannes an seiner Spitze. Die ersten anfänglichen, schnellen militärischen Erfolge der Deutschen blieben nicht ohne Wirkung auf Hitlers Ego. Einem amerikanischen Korrespondenten zufolge sei er für die Deutschen zu dieser Zeit zu einem Mythos, einer Legende, einer beinahe gottgleichen Figur geworden.

„Sein Hang zur Selbstüberschätzung machte ihn zunehmend blind gegen die Einsicht, wie sehr er auch auf militärischem Gebiet auf professionellen Rat angewiesen blieb“, schreibt Ullrich. Vor dem Feldzug gegen die Sowjetunion gab es Ullrich zufolge aber keine nennenswerte Opposition gegen Hitlers Kriegspläne. Und diese seien schon in der Planung in ihrer Menschenverachtung beispiellos gewesen. „Der Diktator war sich des präzedenzlos verbrecherischen Charakters des bevorstehenden Krieges vollauf bewusst, ein Zurück konnte es danach nicht mehr geben.“

Das Ende des deutschen Vormarsches Ende 1941 vor Moskau brachte nach Ullrich die Wende. Der Nimbus der deutschen Unbesiegbarkeit war gebrochen. Für den Wissenschaftler ist klar, dass Hitler spätestens 1942 wusste, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Und diese dramatische Wende habe auch unmittelbare Konsequenzen für Hitlers Haltung den Juden gegenüber gehabt.

Unter dem Eindruck der „Winterkrise“ 1941 und dem Kriegseintritt der USA scheine Hitler den Entschluss gefasst zu haben, die Drohungen gegen die Juden in die Tat umsetzen. Eines schriftlichen Befehls für den Holocaust habe es nicht bedurft. Hitlers antisemitische Vernichtungsrhetorik sei zweifellos auf eine Radikalisierung ausgelegt gewesen. Er habe seine Absichten nur durchblicken lassen müssen und seine beflissenen Paladine konnten sicher sein, in seinem Sinne zu handeln. „Sicher ist aber: Ohne Hitler, ohne seinen eliminatorischen Antisemitismus, wäre der Judenmord nicht zustande gekommen.“ Er sei die letzte Instanz gewesen, die Tempo und Richtung in der antisemitischen Politik vorgegeben habe, von den ersten Maßnahmen bis zur systematischen Vernichtung.

„Hitler war weder das zwangsläufige Ergebnis einer deutschen Unheilsgeschichte noch ein bedauerlicher Unfall, der die Deutschen wie ein Naturereignis aus heiterem Himmel heimgesucht hatte“, bilanziert Ullrich in seiner Biografie über den Diktator. Auch für das heutige in die Staatengemeinde eingebundene Deutschland seien die Gefahren eines Rückfalls in den Nationalismus nicht gebannt. Ein geeintes Deutschland im Herzen Europas sei für andere Mächte nur verträglich, wenn es sich in Selbstbeschränkung übe und hegemonialen Versuchungen entsage. „Die Selbstverständlichkeit, mit der manche Politiker und Journalisten seit einigen Jahren wieder eine deutsche Führungsrolle reklamieren, lässt Zweifel aufkommen, ob die Lehren aus der Geschichte wirklich verstanden worden sind.“ (dpa)

Volker Ullrich: Adolf Hitler. Die Jahre des Untergangs 1939-1945. Biographie, Band 2. S. Fischer, Frankfurt am Main, 896 Seiten, 32 Euro, ISBN 978-3-10-397280-1.