Esbjörn Svensson: Rockstar des Jazz

Es hatte etwas Rauschhaftes und zugleich Zärtliches, wie Esbjörn Svensson sein Piano bearbeitete. | epa/Scanpix Henriksson/dpa

Es hatte etwas Rauschhaftes und zugleich Zärtliches, wie Esbjörn Svensson sein Piano bearbeitete. Muskulöser Groove und mutige Improvisation, eine profunde Kenntnis der Musikgeschichte, die Eingängigkeit von Pop und Nordic-Folk neben komplexen klassischen Strukturen – all das ließ der Schwede in sein Spiel einfließen. Mit Mut und Kreativität eroberte Svensson dem Jazz ein neues Publikum. Aber das Wunder währte nur bis zu einem fatalen Tauchgang in den Schären bei Stockholm vor zehn Jahren. Svensson, noch unerfahren im Unterwasser-Metier, wurde am 14. Juni 2008 leblos auf dem Grund gefunden.

Rastloser Erneuerer starb mit 44 Jahren durch einen Unfall in seiner knapp bemessenen Freizeit.

Der rastlose Jazz-Erneuerer, den Kritiker längst auf Augenhöhe mit großen Pianisten wie Bill Evans, Keith Jarrett, Herbie Hancock oder Brad Mehldau sahen, starb mit nur 44 Jahren durch einen Unfall in seiner knapp bemessenen Freizeit. Diesen Schock hat die Musikwelt auch am zehnten Todestag noch nicht verwunden. Denn Svensson verpasste dem traditionsbehafteten Jazz – zusammen mit seinem Jugendfreund, dem fantasievollen Schlagzeuger Magnus Öström, und dem Hardrock-Fan Dan Berglund am Bass – 15 Jahre lang eine Frischzellenkur, die bis heute wirkt. Kommerziellen Erfolg hatte die Band mit ihrer fast durchgängig selbstkomponierten Musik – darunter viele zum Niederknien schöne Balladen – noch dazu. Das Esbjörn Svensson Trio (kurz e.s.t.) sah sich als „eine Rockband, die Jazz spielt“. Jederzeit offen für Einflüsse aus elektronischer Musik, Postrock und Ambient, überschritt es immer wieder Grenzen – eine Art Radiohead des Jazz. Nach mühsamen Anfängen in kleinen Stockholmer Bars und schwedischen Clubs traten die drei Musiker seit Ende der 90er Jahre regelmäßig im übrigen Europa und irgendwann auch im Jazz-Mutterland USA auf. Die Auszeichnungen wurden zahlreicher, die Hallen größer, die Zuhörer jünger und bunter.

Mit dem deutschen Label ACT fand Svensson eine optimale Plattform für innovative Studioalben wie „From Gagarin’s Point Of View“ (1999), „Strange Place For Snow“ (2002), „Viaticum“ (2005) und „Tuesday Wonderland“ (2006). Von der Virtuosität und Energie des Trios auf der Bühne zeugt „Live in Hamburg“ – für die britische „Times“ war es das beste Jazz-Album des Jahrzehnts. Ähnlich mitreißend klingt der erst kürzlich veröffentlichte Mitschnitt „e.s.t. live in london 2005“.

Dieses Doppelalbum erreichte Ende Mai auf Anhieb die Top 20 der deutschen Charts, eine äußerst seltene Ehre für den Jazz. Wie so viele Fans auf der ganzen Welt trauert auch der schwedische Jazz-Posaunist Nils Landgren am Todestag um Esbjörn Svensson – um einen Kollegen, aber auch um seinen Freund. „Mister Red Horn“ nahm zwei bezaubernde Duo-Alben mit dem acht Jahre jüngeren Pianisten auf, er hält bis heute engen Kontakt zur Svensson-Familie mit den beiden musikalisch sehr talentierten Söhnen Ruben und Noah. „Esbjörn war eine freie Seele. Kreativ, harmonisch und freundlich, mit Integrität – und er wusste genau, was er wollte“, erinnert sich Landgren. Für den Professor an der Musikhochschule Hamburg war Svensson „ein Genie, aber mit sozialen Fähigkeiten, die für seine Musik, seine Familie und seine Karriere notwendig waren“. Ohne Zweifel habe das Trio „den heutigen Jazz revolutioniert“ und daher mitgeholfen, ihn vor der Langeweile zu retten, betont der 62-jährige Landgren. Junge populäre Künstler wie GoGo Penguin, Tingvall Trio oder Michael Wollny würden ihren Piano-Jazz ohne Svensson heute nicht „so spielen, wie sie spielen“ – ohne stilistische Scheuklappen und elitäre Selbstbeschränkung. Svensson selbst drückte es so aus: „Wenn die Musik den Verstand anstelle des Herzens anspricht, ist sie nicht angekommen. Um Jazz zu hören, braucht man keinen Führerschein, man fährt einfach.“

Man würde gern erfahren, in welche Richtung sich seine musikalischen Träume entwickelt hätten.

Das richtete sich auch an Puristen in den USA, die eine Gleichrangigkeit europäischer Musiker nicht akzeptieren wollten – etwa als das e.s.t. 2006, als erste europäische Jazz-Band überhaupt, das Titelbild der weltweit wichtigsten Fachzeitschrift „Down Beat“ zierte. Einer der amerikanischen Jazz-Weltstars, der Gitarrist Pat Metheny, erkannte die überragende Qualität und Faszinationskraft von Svenssons Trio indes früh: „Ich erinnere mich, wie ich auf der Autobahn fuhr und ihre Musik mich fast in Ohnmacht fallen ließ. Sie wurden noch im selben Moment meine absolute Lieblingsband.“

Die Ausstrahlung ihrer Stücke sei „atemberaubend“ gewesen, schwärmte Metheny. In den Notizen zu seinem Debüt „When Everyone Has Gone“ (1993) schrieb Svensson: „Vielleicht werden wir keine Stars. Aber da ist immer diese Freude, diese Aufregung. Diese Band ermöglicht mir, musikalische Träume wahr werden zu lassen.“ Man würde gern erfahren, in welche Richtung sich seine musikalischen Träume nach dem avantgardistischen letzten e.s.t.-Album zu Lebzeiten („Leucocyte“, 2008) entwickelt hätten. Doch Svenssons Geschichte blieb unvollendet. (dpa)