Viel Streit um 23 Ziele: UN-Migrationspakt vor Annahme

Migranten stehen oft vor Mauern oder Zäunen (wie auf diesem Bild an der Grenze zwischen Mexiko und den USA). Der UN-Pakt soll mehr Ordnung in die internationale Migration bringen. Illustrationsfoto: dpa | Rebecca Blackwell/AP/dpa

Die internationale Migration braucht mehr Ordnung. Da sind sich fast alle einig. Nun soll dafür der neue UN-Migrationspakt verabschiedet werden. Vor dem Hintergrund der Regierungskrise in unserem Land hier ein Blick auf das Dokument, um das es in Marrakesch geht.

Der „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ wird von vielen gepriesen. Konservative und nationale Kräfte machen aber mobil gegen das UN-Papier, das nun bei einer Konferenz in Marrakesch angenommen werden soll.

Was ist der UN-Migrationspakt?

Der Anstoß für eine Erarbeitung globaler Leitlinien zur besseren Bewältigung der weltweiten Migration kam während der Migrationskrise 2015. Im Juli 2018 stand dann das in der deutschen Übersetzung 32 Seiten umfassende Dokument, das nun bei der Konferenz in Marrakesch ab Montag angenommen werden soll. Kurz gesagt ist es der erste umfassende Ansatz weltweit, auf dessen Basis Länder besser zusammenarbeiten sollen, um gegen illegale und ungeordnete Migration vorzugehen und Migration sicherer für die Menschen zu machen.

Die formulierten 23 Ziele beinhalten auch Lösungsansätze für vieldiskutierte Probleme: So sollen einige Migrationsursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden, ebenso die Schleuserkriminalität. Der Grenzschutz soll gestärkt und „irreguläre Migration“ verhindert, stattdessen sollen „sichere und reguläre“ Grenzübertritte ermöglicht werden. Ein weiteres Ziel behandelt die Erleichterung einer „würdevollen Rückkehr“ ins Ursprungsland. Zu den Zielen werden jeweils konkrete Handlungsvorschläge gemacht – rechtlich bindend ist der Pakt nicht.

Soll der Pakt Migration fördern?

Nein, aus dem Dokument lässt sich kein neuer Anreiz für Menschen ableiten, ihre Heimat zu verlassen und woanders eine Zukunft zu suchen. Migration wird dabei aber durchaus positiv als „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ dargestellt. Ihre positiven Auswirkungen sollen demnach durch den Pakt besser genutzt werden. Gleichzeitig behandelt das Papier auch die Probleme und Gefahren irregulärer Migration. Die UN-Sonderbeauftragte für Migration, Louise Arbour, sagte zu den hitzigen Debatten darum: „Migration ist ein Thema. Es ist kein schlechtes Thema, es ist kein gutes Thema, es ist ein Thema.“

Warum ist die Skepsis so groß?

Obwohl es keine rechtliche Bindung an die 23 Ziele gibt und der Pakt ausdrücklich die geltende Souveränität der Mitgliedsstaaten betont, fürchten eine Reihe von Staaten um ihre nationale Hoheit. So könne aus den Leitlinien möglicherweise Gewohnheitsrecht werden, das mit der Zeit einklagbar werde. Andere halten diese Argumentation für sehr weit hergeholt. Eine Befürchtung der Gegner ist auch, dass die Ziele zu höheren Standards für die Ansprüche von Migranten führen werden. Befürworter halten dagegen, dass diese Standards in vielen europäischen Ländern ohnehin erfüllt sind.

Kritiker, vor allem Nationalkonservative und rechtspopulistische Parteien, stießen sich zudem an der ihrer Meinung nach zu positiven Darstellung von Migration, die eine Werbewirkung entfalten könne.

Migrationsexperte Matteo Villa vom italienischen Institut für internationale politische Studien macht vor allem politische Kampagnen dafür verantwortlich, in den vergangenen Monaten Ängste über eine vermeintlich unkontrollierbare Migration geschürt zu haben. Populistische Anführer hätten in dem Dokument einen „perfekten Prügelknaben“ für die nationalen Debatten über Migration gefunden.

Welche Länder bleiben dem Pakt fern?

Regierungen mehrerer Länder haben das Abkommen bereits abgelehnt. Die USA waren nach UN-Angaben als einziger der 193 Mitgliedstaaten aus den Verhandlungen ausgestiegen. Nachdem die UN-Vollversammlung sich im Juli dieses Jahres auf einen Vertragsentwurf verständigt hatte, nahmen auch andere Länder von dem geplanten Regelwerk wieder Abstand. Dazu gehören UNGARN, ÖSTERREICH, TSCHECHIEN, POLEN, BULGARIEN, AUSTRALIEN, SLOWAKEI UND ISRAEL.

POLEN wird – anders als die meisten anderen Gegner – dennoch eine Delegation nach Marrakesch schicken. Die SCHWEIZ und ITALIEN werden nicht vertreten sein, weil die Regierungen in Bern und Rom erst die Parlamente entscheiden lassen wollen. In LETTLAND hat sich die Volksvertretung mehrheitlich gegen den Migrationspakt ausgesprochen. Die Entscheidung der Regierung stand Ende der Woche noch aus.

Was passiert nun in Marrakesch?

Die Konferenz dient in erster Linie der feierlichen Annahme des Migrationspaktes. Theoretisch könnte Widerspruch von Delegationen zu einer Abstimmung über das Dokument führen. In diesem Fall wird mit einer hohen Zustimmung gerechnet. Nach der Annahme geht der Beschluss wieder zurück zur finalen Billigung an die UN in New York. In Marrakesch wird es auch eine Reihe von Diskussionen und Dialoge darüber geben, auf welche Weise der Migrationspakt in Zukunft am besten seine Kraft entfalten kann. Dabei geht es auch um die freiwillige Umsetzung der Leitlinien in nationales Recht.

Was ist eigentlich die Definition von Migrant?

Migranten sind nach der Definition der Internationalen Organisation für Migration (IOM) alle Menschen, die ihren Wohnort verlassen – egal aus welchen Gründen, wie lange oder ob freiwillig oder unfreiwillig. Die UN zählte 2017 weltweit 258 Millionen Migranten. Die meisten befinden sich in Asien und Europa. Mehr als 60.000 Menschen starben laut IOM seit 2000 auf ihren Reisen oder in Gefangenschaft.

Was bedeutet der Pakt für Flüchtlinge?

Für Flüchtlinge haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen parallel einen „Globalen Pakt für Flüchtlinge“ erarbeitet, den der UN-Flüchtlingskommissar in seinen Jahresbericht an die Generalversammlung aufnehmen wird. Er soll sicherstellen, dass Flüchtlinge besseren Zugang zu Gesundheit und Bildung erhalten und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können.

Und wie könnten Migranten von dem Pakt profitieren?

Sie sollen besser vor Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung geschützt werden. Das gilt etwa für Erntehelfer aus Nordafrika, die in Südspanien Tomaten und Früchte ernten. Und für verzweifelte Menschen aus Entwicklungsländern, die sich bei Arbeitsvermittlern hoch verschulden. Auch für Hausangestellte aus Südostasien, denen ihre Arbeitgeber in den arabischen Golfstaaten die Pässe abnehmen, ist der Pakt ein Dokument der Hoffnung. Allerdings: Wie die Einhaltung der Grundsätze, die in dem Dokument festgelegt sind, überprüft werden soll, steht noch nicht fest.

Was wird sich nach der Konferenz in der Migrationspolitik ändern?

Da der Pakt auch für die annehmenden Länder gesetzlich nicht bindend ist, muss es auf nationaler Ebene keine direkten Auswirkungen auf die Politik oder die Handhabe von Migration geben. Die Ziele können nach Belieben in nationales Recht umgesetzt werden, müssen aber nicht. Das Regelwerk soll seine Kraft – wie schon bei anderen Abkommen – über die politische Bindung seiner Mitglieder entfalten. Die UN pocht auch darauf, dass durch die gleichen Standards künftig eine bessere internationale Zusammenarbeit bei der Migration möglich wird.

Befürworter erhoffen sich, dass der UN-Pakt auch Staaten, die sich bislang nicht um die Rechte von Migranten scheren, dazu bringen wird, ihre nationale Gesetzgebung zu ändern. Dadurch könnte langfristig der Migrationsdruck in Richtung Westeuropa abnehmen. Eine Garantie gibt es dafür aber nicht. Außerdem könnte die verbesserte Ausstellung von Identitätsnachweisen in Entwicklungsländern bei Abschiebungen helfen. Wie effektiv die vereinbarten Maßnahmen gegen Schlepper sind, muss sich noch zeigen. (dpa)