De Wever: "Nur noch eine Marrakesch-Koalition"

Premierminister Charles Michel (MR) diese Woche im Parlament. Die Schweden.Koalition zerbricht wohl am Streit über den UN-Migrationspakt. Foto: belga | 4



Der föderale Ministerrat war am Samstagabendkurz nach 20 Uhr zu einer Sondersitzung am Amtssitz des Premierministers, Rue de la Loi 16, zusammengekommen. Es ging darum, möglichst doch noch eine Einigung über die belgische Position zum UN-Migrationspakt zu finden.

Nach nur einer halben Stunde verließ die N-VA die Sitzung des Ministerrates. Die Minister der Partei bezogen kurz danach bei einer Pressekonferenz am Sitz der Partei Stellung. „Man hat uns aus der Regierung gedrückt“, sagte de Wever. Eine Krise sei der Regierung offenbar lieber als ein Kompromiss. Er verstehe nicht, warum Belgien sich nicht bei der Abstimmung enthalten könne.

In Anspielung auf die parlamentarische Mehrheit, die in dieser Woche für die Annahme des Pakts durch Belgien gestimmt hatte, sagte De Wever wörtlich: „Wenn er das Flugzeug besteigt, wird Charles Michel noch Premierminister der schwedischen Koalition sein. Aber wenn er landet, dann hat er nur noch die Marrakesch-Koalition. Dann muss er schauen, wie er damit weiterkommt.“

Auf Nachfrage von Journalisten sagte Bart de Wever, der Premierminister habe hart für seine Koalition gekämpft, er sei aber dafür ausgelacht worden. Unterstützung habe er im Parlament bei anderen Parteien („Marrakesch-Koalition“) gefunden. „Wenn der Premier am Sonntag nach Marrakesch reist, dann bedeutet das de facto, dass er uns aus der Regierung entlässt“, so De Wever.

Aus den juristisch-politisch verklausulierten Stellungnahmen der verschiedenen Akteure am späten Samstagabend wurde deutlich, dass das „Schwarze-Peter-Spiel“ der letzten Tage weiter geht. Niemand will für den Sturz der Regierung Verantwortung übernehmen, um dann bei möglichen Neuwahlen vom Wähler dafür abgestraft zu werden. So nahm De Wever denn auch ausdrücklich nicht das Wort „Rücktritt“ für die Minister seiner Partei in den Mund, sondern wiederholte, die N-VA werde „aus der Regierung gedrückt“.

Eine Kompromissposition war unmöglich

Während des gesamten Tages hatten die politischen Gespräche innerhalb der Regierung vor allem bilateral stattgefunden. Als Tagungsort fungierte dabei das Schloss von Val Duchesse, außerhalb von Brüssel. Die Minister gingen damit den erheblichen Behinderungen im Stadtzentrum durch die Kundgebung der „Gelbwesten“ und durch die entsprechenden Absperrungen aus dem Weg.

Beobachter hielten am Samstagabend vor Beginn der Sitzung des Ministerrates die Chance, noch eine durch die gesamte Regierung getragene Kompromissposition zu finden, für verschwindend gering. Die flämischen Nationalisten der N-VA hatten diese Sondersitzung des Ministerrates noch vor Beginn der UN-Sitzung in Marrakesch gefordert (diese Sitzung findet am Montag und Dienstag statt, A.d.R.).

Schon im September hatte Michel „Ja“ gesagt

Premierminister Charles Michel (MR) hatte am 27. September bei einer UNO-Sitzung im Rahmen der normalen Beschlussprozeduren eine positive Bewertung des Migrationspakts durch Belgien zugesagt. Der Premier hatte sich dabei auf die Unterstützung seiner Regierung gestützt, die er wenige Wochen zuvor ohne besondere Auffälligkeiten erhalten hatte. Im Laufe der letzten Wochen jedoch, nachdem deutlich wurde, dass mehrere europäische Länder den Pakt nicht oder nur mit Einschränkungen befürworteten, hatte die flämische N-VA ebenfalls immer lauter Bedenken angemeldet, ihre Unterstützung zurückgezogen und ein belgisches „Ja“ schließlich kategorisch ausgeschlossen.

Noch am Samstagmittag forderte der N-VA-Vorsitzende Bart De Wever Premierminister Michel auf, sich bei der Abstimmung in Marrakesch im Namen unseres Landes der Stimme zu enthalten. De Wever sagte dies im Vorfeld einer Sitzung des N-VA-Parteivorstands zur Vorbereitung der Regierungssitzung vom Abend. Der N-VA-Vorsitzende erkannte in seiner Stellungnahme am Samstagmittag an, dass seine Partei in diesem strittigen Dossier erst sehr spät deutlich ihre Ablehnung bekundet habe. Er rief die Koalitionspartner dazu auf, „flexibel“ zu sein, so wie seine Partei es auch bei anderen Dossiers gewesen sei. „Wir können diesem Pakt wirklich nicht zustimmen“, sagte De Wever weiter. In der Vergangenheit habe die Regierung in anderen Dossiers eine solche Ablehnung durch einen der Koalitionspartner auch jeweils berücksichtigt. Er nannte einige Dossiers, in denen die N-VA aufgrund der Bedenken von anderen Regierungsparteien Zugeständnisse gemacht und dabei Gesichtsverluste in Kauf genommen habe. „Ich hoffe, dass auch diesmal Weisheit und Vernunft sich durchsetzen, sodass die Regierung weitermachen kann“, sagte De Wever mittags. Er gebe die Hoffnung bis zur letzten Sekunde nicht auf.

Nach heftigen Debatten hatte am Donnerstag im Parlament eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten sich für ein „Ja“ Belgiens zum Migrationspakt ausgesprochen. Die Regierungsparteien MR, VLD et CD&V erhielten dabei über eine Resolution Unterstützung aus der Opposition, während die Regierungspartei N-VA dagegen stimmte. (belga/mako)