Demokratie immer öfter missbraucht: Verräter statt Vertreter

Von Demut keine Spur, von Ehrfurcht vor der 700 Jahre alten und oft als Vorbild zitierten Westminister-Demokratie auch nicht und von Selbstkritik erst recht nicht. Schlimmer noch: May nahm erneut die Demokratie, das Volk und nicht zuletzt seine gewählten Vertreter in Geiselhaft, überzeugt, dass nur sie dem britischen Volk das Heil in der unglücklichen Brexit-Saga bringen kann.

Wäre May ein Einzelfall, könnte man vielleicht darüber hinwegsehen. Leider ist es aber mittlerweile gang und gäbe, die persönliche Agenda und den eigenen Machterhalt vor die Interessen des Volkes zu stellen: das man ja vertritt. Immerhin leben wir in repräsentativen Demokratien.

Bereits Mays Vorgänger David Cameron spielte taktische (Macht)Spielchen. Das ominöse Referendum zum Brexit wuchs auf seinem Mist: um seine Machtposition gegenüber den EU-Skeptikern in seiner eigenen Partei zu stärken. Er scheiterte bekanntlich. Und verabschiedete sich singend aus der Downing Street.

Auch in Belgien erlebten wir Ende letzten Jahres ein vergleichbares Trauerspiel im föderalen Parlament. Aus wahltaktischen Gründen – die Regierungsparteien gingen geschwächt aus den Kommunalwahlen hervor – lieferten sich die N-VA und die übrigen Koalitionäre ein klägliches Gefecht, an dessen Ende Premierminister Charles Michel dem König seinen Rücktritt anbieten musste.

In Antwerpen ließ sich Bart De Wever nach dem schwachen Abschneiden „seiner“ N-VA bei den Gemeinderatswahlen im Oktober von der verhassten SP.A auf den Bürgermeistersessel hieven, sang „seinem“ Antwerpen Liebeshymnen, um sich dann, keine zwei Monate später, für den Posten des flämischen Ministerpräsidenten anzudienen.

Man könnte auch Annegret Kramp-Karrenbauer nennen, die als gewählte Ministerpräsidentin dem Saarland den Rücken kehrte: in der Hoffnung Angela Merkel als Kanzlerin zu beerben. Und noch viele weitere Politiker, die ganz offensichtlich vergessen haben, dass sie als Volksvertreter, nicht als Volksverräter gewählt wurden: dass es also nicht um sie und ihre Macht geht, sondern um die Menschen, die sie gewählt haben und in deren Namen sie zu handeln haben.

Andere, wie Donald Trump, nehmen Hunderttausende in Geiselhaft, wie jetzt beim Shutdown, um ihre persönliche Agenda durchzudrücken.

So fühlen sich immer mehr Bürger von ihren Vertretern nicht mehr vertreten, sondern verraten. Kein Wunder, dass das demokratische System dahinsiecht. Denn Demokratie steht für „Herrschaft des Volkes“, nicht für Machtmissbrauch und Selbstbedienung.