Auf Entdeckungsreise mit Bernd Müllender


Im GrenzEcho Verlag hat er im Mai ein Buch veröffentlicht in dem er 100 Orte in Ostbelgien – das er nicht auf die Deutschsprachige Gemeinschaft beschränkt wissen will – vorstellt, die sein besonderes Interesse geweckt haben, und deren Entdeckung er mit anderen teilen möchte. Nachfolgend einige Leseproben.

Den Molly machen – der Geheime Sanitätsrat von Kelmis

Er hat die weite Welt nach Kelmis gebracht, im späten 19. Jahrhundert: Der umtriebige Geheime Sanitätsrat Dr. Wilhelm Molly. 1863 aus Wetzlar in Hessen zugezogen, war er zunächst Chefarzt der Erzgruben. Als die Galmei-Ausbeute nachließ, wurde er zu einer schillernden Figur.

Molly wurde zuerst stellvertretender Bürgermeister. Widerrechtlich gegen das Postmonopol ließ der geschäftstüchtige Mann eigene Briefmarken („Kelmiser Verkehrs Anstalt – Neutrales Gebiet“) drucken; gezahnt, geschnitten, kunstvoll gestempelt – erst lukrativ für ihn, bald offiziell „Ausser Cours Gesetzt“, bis heute bei Philatelisten hoch gehandelt.

Um 1900 initiierte er ein Spielcasino. Aus Paris, London, St. Petersburg kamen reiche Gäste angetuckert: „Die große Straße zwischen Aachen und Verviers bedeckte sich mit Automobilen“, liest man in einem alten Zeitungsbericht über dieses zeitweilige „Neu-Monte Carlo“. 1907 wollten Esperanto-Anhänger aus dem völkerrechtlichen Unikum gleich den Welt-Esperantostaat machen. Geplanter Name: Amikejo (übersetzt: Ort der Freunde). Molly engagierte sich begeistert. 1908 verlegte der Weltbund der Esperantisten sogar seinen Hauptsitz nach Moresnet. Es gab Kongresse, das Stammlokal Esperanta Gast tablo, einen eigenen Konsul, eine eigene Hymne. Kneipiers schilderten mehrsprachig aus. Mit dem Überfall der deutschen Truppen 1914 starb die Idee. Molly selbst starb wenige Monate nach dem Ende des Kleinststaates 1919, als gäbe es nunmehr auch für ihn keine Lebensgrundlage mehr. Es bleibt bis heute die Dr.-Molly-Straße mitten im Ort. Dort wird er gepriesen: „Initiator der Neutralen Freimarken (1886)“. Es gibt sogar Vermutungen, dass der beliebte rheinische Ausdruck „den Molli machen“ (jemanden hintergehen, austricksen, vorführen) sich von eben jenem Dr. Wilhelm Molly ableitet. Und sonst? Ein anderer berühmter Sohn Neutral-Moresnets war Emil Dovifat (geboren 1890). Er wurde Begründer der Publizistikwissenschaft in Deutschland.

Klötze in der Klötzerbahn – Mobile Glückseligkeit zu Eupen

Eupens Zentrum in der Oberstadt mit allen Geschäften und Attraktionen hat kaum 500 Meter Ausdehnung, ein fußläufiges Paradies: kompakt, alles schnell zu erreichen. Da ist im Osten der Werthplatz, rundum die Pracht der alten Tuchmacherhäuser. Und der Platz selbst? Betonkomplettversiegelt, Parkblech: Ein städtebauliches Monument der Hässlichkeit. Einparken, ausparken: Eine Wechselausstellung des mobilen Irrsinns. Nur freitags beim Wochenmarkt ist das anders.

Im Westen, der Marktplatz vor der Nikolauskirche: Ein paar Cafés, um zu sehen und gesehen zu werden (passend: „Brasserie Paparazzi“), ein Ort von Gemütlichkeit und Entspannung – den unentwegt Autos umrunden. Nervig! Weiter unten die Straßen Klötzerbahn und Gospert mit Kirchen, Regierungsgebäude, Brunnen, das historische Eupen: Und es fahren, zudem in beide Richtungen, Autos um Autos. Hölzerne Blumenklötze sind in der Klötzerbahn aufgebaut, um den Verkehr zu bändigen. Das gelingt. Die Folge: Stop and go, manchmal zünftige Verkeilungen der Fahrzeuge, Extra-Auspuffleistungen, Motorgekrächze. Fußgänger und Radler müssen sich drumherum schlängeln.

Die Kirchen bekommen hier eine postmoderne Bedeutung: als Ort von Ruhe und Zuflucht vor dem motorisierten Irrsinn. Man kann auch um Vernunft beten. Die politisch Verantwortlichen können sagen: So hat es die Bürgerbefragung 2015 doch ergeben. Autofrei? Nein! Also, was sollen wir tun?

Wir beschreiben das hier, weil wir Optimisten sind. Wenn Sie das Buch lesen, ist vielleicht schon alles anders: Es gibt nur noch Fußgänger, Radler, Taxis, E-Kleinbusse, Lastenräder, man kann den Kopf schütteln über die frühere Verbohrtheit.

Und sonst? Gilt die Wette, dass die Umsätze der vorgeblich autoabhängigen Einzelhändler steigen würden statt zu sinken. Hasselt hat das vor Jahren eindrucksvoll vorgemacht, als das Busfahren gratis wurde und die Selbstbeweger mehrheitlich außen vor blieben. Die flämische Metropole boomte zum florierenden Shoppingparadies.

Höher wohnen – Mürringen, belgischer Rekordort

Niemand in Belgien wohnt so hoch wie Günter Schmitz-Visé und seine Familie. Mürringen ist die höchstgelegene Siedlung des Königreichs, das Haus Auf der Luft Nr. 7 liegt ganz oben im Rekordort.

„Auf gut elf Millionen Landsleute herab zu gucken“, sei ja schön und gut, lächelt der Frührentner, aber die ungeschützte Höhenlage habe auch Nachteile: „Eisiger Wind im Winter, der kommt unten aus Elsenborn und aus Rocherath.“ Unten heißt mehrere Meter tiefer; also quasi Talgemeinden. Mit Rocherath verbindet Mürringen (offiziell 655 Meter über NN) eine ziemliche Konkurrenz. „Die behaupten manchmal, sie lägen höher“, erläutert Sohn Mario, die Folge: „immer wieder Spott gegenseitig“. Bei Mario herrscht allerdings friedliche Koexistenz, seine Freundin stammt daher. „Doch“, sagt er, „das geht gut mit unserer Liebe, trotz Rocherath“. Alle gehören ohnehin gemeinschaftlich zur Gemeinde Büllingen, die östlichste Belgiens und die flächenmäßig größte!

In Schmitz-Visés Garten stehen der höchste Privatpool Belgiens und das höchste Gartenhäuschen. An das Grundstück stößt der höchstgelegene Fußballplatz des Landes. Rapid Mürringen spielt hier. Der Klubname ist eine Antwort auf das Image der gut 600 Mürringer, besonders langsam zu sein. Was in der sauerstoffarmen Höhenluft nur natürlich erscheint. Ärgerlich war allerdings, dass bei der Fußball-Europameisterschaft der höchstgelegenen Orte 2016 („Bergdorf-EM“) im französischen Morzine nicht Rapid mitwirken durfte, sondern die Großkopferten unten aus Elsenborn. Die liegen tiefer (höchstens 635 Meter), „spielen aber höherklassig als Rapid“, sagt Mario. Leistung vor Höhe – gemein!

Und sonst? Besondere Bedeutung in Mürringen hat der Weiße Stein, ganz oben (auf 692 Metern Höhe) in den weiten Wäldern versteckt (Einheimische weisen den Weg). Viele Kubikmeter groß, ein Quarzbrocken, laut Legende ein Asteroidenteil. Man versuchte, ihn schon mit Baggern und sogar Panzern auszugraben. Erfolglos. Jahr um Jahr sinkt der Stein etwas tiefer in die Erde. Ältere wie Günter Schmitz-Visé können das mit eigenen Augen beurteilen: „In meiner Kindheit war der noch viel größer.“ Mysterium Mürringen.

100 Orte in Ostbelgien & Umgebung, Bernd Müllender 216 Seiten, Klappenbroschur, 13 x 21 cm, 15 Euro. ISBN 978-3-86712-124-8.

Erhältlich im Buchhandel und in den GE-Geschäftsstellen.

www.gev.be