Aarhus: Der Blick zurück nach vorne


Von Bernd F. Meier

Zukunft und Vergangenheit sind in Aarhus nur ein paar Schritte voneinander entfernt. Gemeinsam mit der griechischen Stadt Paphos auf Zypern ist die dänische Stadt Aarhus Europäische Kulturhauptstadt 2017. Bei einem Stadtrundgang verschmelzen alt und neu.

Die Besucherin aus Holland schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „Was passiert mit unserem Auto? Es ist weg, im Keller verschwunden!“ Autos fahren Aufzug, fahrerlos hinunter in die hypermoderne, unterirdische Parkgarage am Hafen von Aarhus. Die mit 1.000 Stellplätzen größte Tiefgarage ihrer Art in Europa gehört zu Dokk1, dem 2015 eröffneten Bürgerhaus inklusive Stadtbücherei. Mit aufsteigenden Rampen, Treppen, Terrassen und großflächigen Glasfronten setzt Dokk1 ein architektonisches Statement: „Seht her, das ist die Zukunft von Aarhus!“

Dabei hat die Universitätsstadt in Mitteljütland eine große Vergangenheit aufzuweisen: Bereits um das Jahr 770 wurde sie von Wikingern an der Mündung des Flüsschens Aarhus Å in die Ostsee gegründet und ist damit die zweitälteste Stadt Dänemarks.

Zwischen Gestern und Heute, Vergangenheit und Zukunft bewegt sich Aarhus als Europäische Kulturhauptstadt 2017 folgerichtig unter dem Motto „Let’s rethink“. Altes soll neu durchdacht werden, dabei neu erfunden werden.

Am besten lässt sich die Stadt zu Fuß bei einem Stadtrundgang erkunden. Zwar ist Aarhus die zweitgrößte Stadt in Dänemark nach Kopenhagen. Doch das Zentrum ist ziemlich klein, alle Sehenswürdigkeiten sind in 30 Minuten Fußweg erreichbar.

Zuerst geht es zum Kunstmuseum ARoS, auf dessen Dach 2011 die beeindruckende Kunstinstallation „Your rainbow panorama“ gelandet ist. Von dem dänisch-isländischen Künstler Olafur Eliasson geschaffen, eröffnet der 150 Meter lange, kreisrunde Laufsteg ungewöhnliche Weitblicke über das Häusermeer, den Hafen und die Aarhuser Ostseebucht. Schillernd wie ein Regenbogen sind die intensiven Farben des begehbaren Kunstwerkes – mal wirkt die Durchsicht tintenblau, mal tieforange.

Von zeitgenössischer Kunst geht es schnell wieder zurück in die Vergangenheit: Im Park liegt das Museum Den Gamle By, die alte Stadt. Dutzende wiedererrichtete Bauwerke aus ganz Dänemark – Wohnhäuser, Werkstätten, Geschäfte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert – bilden eine kleine Stadt inmitten der Stadt.

Gamle By dokumentiert auch die 1970er Jahre, für viele Besucher noch selbst erlebte Vergangenheit. Tonbandgeräte, Vinyl-Schallplatten, Hi-Fi-Verstärker, übergroße Lautsprecherboxen, Fernsehgeräte und Radios aus jenen Jahren oder der Hinterhof mit dem VW-Käfer laden ein zu einer Zeitreise in das Jahrzehnt der Hippies. Gamle By wurde schon 1909 gegründet und gilt in seiner Form als weltweit erstes Freilichtmuseum für Stadtgeschichte und Kultur.

Der Rundgang führt weiter zu den bunten Wohnhäusern in der Møllestien-Gasse. Zwischen 1870 und 1885 wurden sie erbaut, heute sind sie eine Idylle inmitten der Großstadt. Wuseliges Treiben hingegen bietet das Latinerkvarteret, Quartier Latin – und einen Hauch von Paris in Aarhus?

Modeboutiquen, Läden mit Vintagemöbeln und Kunsthandwerk im dänischen Designstil laden dort zum Einkaufsbummel. Manche der blutrot getünchten Häuser stammen aus dem 16. Jahrhundert und prägen das Bild des ältesten Stadtquartiers nahe der Domkirche.

In den Innenhöfen gibt es zahlreiche kleine Cafés und Restaurants. Eines dort heißt kurz und bündig Feinschmecker, was als mehr als nur ein Hinweis auf die dänische Kochkunst im kulinarischen Aarhus zu verstehen ist. Immerhin wurden hier einige Restaurants mit den begehrten Michelin-Sternen ausgezeichnet. Also doch Paris – ein bisschen wenigstens.

Cafés und Restaurants mit ihren Terrassen sind links und rechts des Flüsschens Aarhus Å aufgereiht. Auch bei kühlem Herbstwetter sitzen die Aarhusianer draußen und genießen nach den Einkäufen ein paar Sonnenstrahlen. Für Streetfood machen sich Jung und Alt auf zur Rutebilstation, dem Busbahnhof. In einer kahlen Werkhalle parken Streetfood-Trucks: Asiatisches Curryhühnchen und heimische Enten als Pulled Duck werden aufgetischt.

Nur ein paar Straßen weiter an der Hafenpromenade wird der Kontrast zwischen Vergangenheit und Zukunft besonders sichtbar. Wo bis um die Jahrtausendwende noch Frachtschiffe anlegten, wächst heute in rasantem Tempo das junge Stadtviertel Aarhus Ø heran. „Ø“, das heißt Insel. Altes wird hier neu gedacht. Auch das passt zum „Let’s rethink“-Motto der Kulturhauptstadt 2017.

Noch beherrschen Baukräne und Bagger die Szenerie, doch in Zukunft soll Ø die Heimat von 7000 Bewohnern sein. In den Wohnkomplex Isbjerget (Eisberg) sind die ersten Familien bereits eingezogen. Die mehrteiligen Hochbauten mit ihren lichtblauen Balkonen wirken aus der Ferne wie eine Ansammlung kantiger Eisriesen. Isbjerget ist Wahrzeichen von Aarhus Ø und längst zur Touristenattraktion geworden.

Eine weitere Landmarke können Besucher abgesperrt hinter den hohen Baustellenzäunen entdecken: Der Segelturm aus Stahl mit der Aussichtsplattform, die über dem Hafenwasser schwebt. Die Aarhuser Architektin Dorte Mandrup hat den Turm geschaffen. Abends erstrahlt dessen blanker Stahl im Schein der LED-Lampen – ein moderner Leuchtturm. Let’s rethink. (dpa)

 

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