JUMO Automation: „Manuelle Arbeit und Digitalisierung passen sehr wohl zusammen!“

<p>Das ostbelgische Unternehmen JUMO wurde im Sommer als „Factory of the Future“ ausgezeichnet.</p>
Das ostbelgische Unternehmen JUMO wurde im Sommer als „Factory of the Future“ ausgezeichnet. | Bild: JUMO Eupen

Eupen

Schon beim Betreten des Empfangsbereichs von JUMO in der Eupener Industriestraße sticht er ins Auge: Der elegante Sockel mit dem Award des „Factory of the Future 2020“ - Preises, in Form einer kleinen Fabrik, die sich um 360 Grad dreht. Um diese besondere Auszeichnung von „Digital Wallonia“ zu erhalten, müssen die Unternehmen einen aufwändigen Auswahlprozess durchlaufen, in dem sie nach den sieben Säulen der digitalen Transformation bewertet werden. Dazu gehören unter anderem fortschrittliche Fertigungstechnologien, ein vernetztes Produktionsumfeld, ökologische Aspekte und auch die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mitarbeiter. Mittlerweile zählt die Wallonie insgesamt sechs solcher „Fabriken der Zukunft“, die als vorbildliche Unternehmen im Bereich Industrie 4.0 anzusehen sind. Und hierzu zählt seit einigen Monaten auch JUMO aus Eupen.


„So etwas ist nur mit engagierten Mitarbeitern möglich, die offen für die Zukunft sind und einen permanenten Beitrag zur Optimierung aller Prozesse leisten. Dieser Preis ist ein Ansporn, um den Weg zur ‚Smart Factory‘ weiterzugehen“, so Bruno Radermacher.

JUMO Eupen – Temperatursensoren „auf Maß“

JUMO Automation in Eupen ist ein Tochterunternehmen der deutschen JUMO-Gruppe, dem Weltmarktführer für Temperatursensoren. Der ostbelgische Standort unter der Leitung von Bruno Radermacher, der vorher für Siemens in Brüssel tätig war, zählt mittlerweile über 40 Angestellte. JUMO bietet die gesamte Palette von der Sensormessung bis hin zu Automatisierungslösungen für verschiedene Anwendungen an. Das „Eupener“ Werk ist auf die Herstellung von Einzelteilen in kleinen Serien für kritische Umgebungen spezialisiert und fungiert damit als Kompetenzzentrum für die gesamte JUMO-Familie. Um sich innerhalb der eigenen Gruppe aber auch gegenüber seinen Kunden hervorzuheben und wettbewerbsfähig zu bleiben, hat JUMO Eupen damals die strategische Entscheidung getroffen, anders zu sein, um besser zu sein. Dies bedeutete u.a. Temperatursensoren mit hoher Wertschöpfung für kritische Prozesse in allen Sektoren zu bauen. Hierzu zählen zum Beispiel Sensoren zur Temperaturmessung in Öfen bis 1.500 Grad oder auch hochpräzise Messtechnik mit schnellen Reaktionszeiten für die Pharmaindustrie.

„Irgendwann hat es Klick gemacht!“

Bruno Radermacher kann sich noch genau daran erinnern als es im Hinblick auf die Digitalisierung und Industrie 4.0 „Klick“ gemacht hat. „Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, als ein Mitarbeiter nachmittags in mein Büro kam um mir davon zu berichten, dass zwei Personen seit circa zwei Stunden damit beschäftigt sind, dreibestimmte Teile in der Produktion zu suchen. Da habe ich mir dann gedacht, dass es so nicht weitergehen kann“, erläutert er, mittlerweile mit einem Schmunzeln im Gesicht. Dieses Vorkommnis war sozusagen der „Aha-Moment“, die Kugel, die den Transformationsprozess, der daraufhin folgte, ins Rollen brachte.


„An diesem Tag wurde mir bewusst, dass etwas verändert werden muss, das tiefgreifende Konsequenzen haben wird“

Hinzu kam 2017 noch eine generelle Krisenzeit, wo die Lieferzeiten der Produkte zu lang waren und es mehrere Konflikte zwischen Vertrieb, Produktion und Kunden gab. Dies lag hauptsächlich daran, dass zum einen das ERP nicht optimal angepasst war und zum anderen, dass die Anzahl der Fertigungsaufträge sich innerhalb von zwei Jahren beinahe verdoppelt hatte. „Wir haben so viele Aufträge bearbeitet, dass die Vorlaufzeiten explodierten. Das war inakzeptabel", erklärt Bruno Radermacher rückblickend.

Aus diesen Umständen heraus wandte er sich damals an das Netzwerk von Digital Wallonia - seinem Fall an Sirris, ein Expertise-Zentrum für Technologie und Industrie. Durch die Begleitung der Experten und das damit verbundene Audit, was damals durchgeführt wurde, wurde JUMO der Spiegel vorgehalten. Es wurden Schwachstellen identifiziert und ausgebessert sowie Prozesse mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft optimiert. Ob in der Personalführung, auf IT-Ebene, im Workflow, bei den Maschinen oder der Organisation der Produktion. In fast allen Bereichen wurde bei JUMO Eupen angepackt und es ging vor allen Dingen immer darum, den individuellen Mitarbeiter mit seinen ganz besonderen Fähigkeiten besser einzusetzen und zu fördern. Für Radermacher war und ist es immer wichtig gewesen, dass der Mensch im Mittelpunkt bleibt. Im Industrie-Fachjargon spricht man hier gerne von der „Human Centered Organisation“. Das alles unterstützt durch neue digitale Anwendungen, Maschinen und Tools, die einen Mehrwert generieren, und die Mitarbeiter unterstützen. JUMO erwarb im Rahmen dieses Prozesses beispielsweise eine Lasergravur-Station, die direkt mit dem ERP-System verbunden ist. „Da diese Maschine für beinahe jeden Mitarbeiter einfach zu bedienen ist, haben die Spezialisten jetzt mehr Zeit, um sich der Arbeit mit hoher Wertschöpfung sowie komplexeren Aufgaben zu widmen“, so Radermacher. „Unser Stammhaus hat uns damals 12 bis 18 Monate Zeit gegeben, diesen gesamten digitalen Prozess der Umwandlung zu bewältigen. Letztendlich haben wir es in sechs Monaten geschafft", fügt er zufrieden hinzu. Stand heute erfolgen die Lieferungen von JUMO „just-in-time“. Die Produktionsdauer hat sich, dank optimaler und richtiger Planung, von acht auf zwei Wochen reduziert. „Wenn wir sagen, dass am 30. Juni geliefert wird, dann wird am 30. Juni geliefert", so der Geschäftsführer.

Nicht digitalisieren, wo es nichts zu digitalisieren gibt!

Die digitale Transformation, die JUMO in den letzten Monaten durchlaufen hat, kann als Erfolg auf ganzer Linie verbucht werden. Während Im Jahr 2003 ca. 17.000 Sonden pro Jahr produziert wurden, sind es heutzutage 70.000 Sonden, teils viel komplexer als damals, jedoch nur mit etwa doppelt so vielen Mitarbeitern. JUMO sieht sich selbst auch als positives Beispiel und Motivation für andere mittelständische Betriebe, einen solchen Prozess anzustoßen. „Man muss nicht groß sein, um das zu schaffen. Mittlerweile haben wir die Industrie 4.0 sozusagen in unserer DNA“, fügt Radermacher hinzu. Für Bruno Radermacher ist es aber auch wichtig zu betonen, dass wenn es so digital wird, dass der Mensch nicht mehr nachdenkt, dies sicherlich nicht der richtige Weg ist. In einer Zeit, in der Smartphones, Tablets und andere Devices die Überhand gewinnen, die Haptik mehr und mehr verloren geht und damit leider auch oft die kognitiven Fähigkeiten, sollte man die richtige Balance finden.


„Ab dem Zeitpunkt, wo die künstliche Intelligenz (KI) anstelle des Menschen und nicht mit dem Menschen denkt, man dieser KI volles Vertrauen schenkt und ihr blind Verantwortungen überlässt, läuft irgendwas schief“, betont Bruno Radermacher.

„Auch digitalisieren wo es nichts zu digitalisieren gibt, ist für ihn die absolut falsche Herangehensweise. JUMO ist das lebendige Beispiel dafür, das manuelle Handarbeit und Digitalisierung sehr wohl Hand in Hand gehen können“.

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