„Kann Europa wirtschaftliches Sozialdumping weiter dulden?“

Volker Klinges ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes in der DG (AVED) und der IHK Eupen-Malmedy-St.Vith. | David Hagemann

Belgien hat kürzlich bei der EU-Kommission Beschwerde gegen Deutschland wegen mutmaßlichen Sozialdumpings in fleischverarbeitenden Betrieben eingereicht. Im deutschen Fleischsektor werden teilweise Stundenlöhne von drei Euro bezahlt, da ein flächendeckender Mindestlohn nicht besteht. „Diese Form des wirtschaftlichen Sozialdumpings ist in einem vereinten Europa nicht mehr duldbar“, betont Volker Klinges und erläutert: „Wirtschaftliches Sozialdumping führt zu einem unlauteren Wettbewerb. Deutschland hat durch die Agenda 2010 ihre Wirtschaft wieder international positioniert. Leider haben verschiedene Maßnahmen zu einem deutlichen Ungleichgewicht der wirtschaftlichen Machtverhältnisse innerhalb Europas geführt.“

In Belgien besteht ein garantierter Mindestlohn von rund 1.400 Euro. Die zuvor zitierten 3 Euro/Stunde im deutschen Fleischsektor entsprechen einem monatlichen Lohn von ca. 500 Euro. „Belgien hat aber natürlich auch ein hausgemachtes Problem. Die hohe Steuerlast und die immensen Lohnnebenkosten führen dazu, dass Belgien an erster Stelle der Euroländer in puncto Arbeitskosten steht. Belgien ist dadurch international nicht mehr konkurrenzfähig“, so Klinges.

In Belgien kostete 2012 eine Arbeitsstunde den Arbeitgeber 40,40 Euro – in Frankreich 34,90 Euro, Luxemburg 34,40 Euro, den Niederlanden 31,30 Euro und Deutschland 31 Euro. Der EU-Durchschnitt lag bei 23,50 Euro.

„Aus finanztechnischer Sicht infolge der Einführung des Euro haben die Mitgliedsstaaten nicht mehr die Möglichkeit, systematische Wettbewerbsverzerrungen zu ihren Lasten durch eine Abwertung ihrer nationalen Währung zu kompensieren. Sie können nur durch bedeutende Produktivitätssteigerungen die zu hohen Arbeitskosten ausgleichen. Dazu bedarf es hoher Investitionen, und nur die qualifiziertesten Mitarbeiter können diesem Druck nach höherer Produktivität standhalten. Für alle anderen Personen findet sich unter diesen Voraussetzungen keine Arbeit mehr. Sie fallen zulasten des Sozialnetzes. Das kann Europa auch nicht wollen“, legt Klinges den Finger in die Wunde.

Eine Währungsunion müsse einhergehen mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialunion.

Hier bedürfe es einer europäischen Regelung, die zu einer größeren Konvergenz der Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation innerhalb Europas führt. „Die Einführung von Mindestlöhnen, auch in Deutschland, scheint uns notwendig, um eine gerechtere Wettbewerbssituation zu ermöglichen. Wir verlangen keinen einheitlichen Mindestlohn für ganz Europa. Wir wünschen uns aber zumindest einen durch Europa festgelegten Rahmen von Mindestlöhnen, innerhalb derer die einzelnen europäischen Staaten sich bewegen können. Klar ist: Für gute Arbeit muss es auch einen gerechten Lohn geben.“